: Heinrich von Berenberg
: Vom Stemmen der Gewichte News and Letters
: Berenberg Verlag GmbH
: 9783911327114
: 1
: CHF 14.90
:
: Essays, Feuilleton, Literaturkritik, Interviews
: German
: 280
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Man sollte sich hüten, sich allzu ernst zu ­nehmen, wenn man Bücher nicht schreibt, sondern sie nur drucken lässt. Aber nach zwanzig Jahren sind ein paar Berichte aus dieser Tätigkeit vielleicht doch nicht ganz uninteressant. Also versuchen wir es mal: Dieser Band ­versammelt Porträts, Reiseberichte und eine Auswahl jener Newsletter, die über die Jahre unregelmäßig über das Wie und Wer in diesem ­Verlag informiert haben: vom Elend der Vorschautexte, von »schwierigen Autoren« und »fetten Musen«. Nicht zu vergessen: der ­Kosmos ­Spanien und Lateinamerika und warum er für uns so ­wichtig ist. Mit Texten u.?a. über ­Roberto ­Bolaño, ­Rafael Chirbes, Maike Albath, Katharina Hacker, Eliot Weinberger, Michael Rutschky, Adania Shibli, Igal Avidan, Vicente Valero sowie einem Gedicht von Christine Wunnicke: »Ein Logo spricht«. »Die Autorinnen (und auch die Autoren), um die es in und anhand dieser Texte geht, erscheinen mir in diesen Zeiten unter literarischen, aber auch unter politischen Gesichtspunkten als so wichtig und auch bedeutend, dass hier nachgelesen werden kann, was ich, hoffentlich, von ihnen und im Austausch mit ihnen gelernt habe. Es ist viel; es hat mich, meine Ansichten und meine Gedanken verändert und bereichert, und das, finde ich, ist das Beste, was die Arbeit als Verleger von Büchern hergeben kann.«

Heinrich von Berenberg, geboren 1950 in Hamburg, gründete im Jahr 2004 zusammen mit seiner Frau Petra seinen eigenen Verlag. Daneben ist er auch als Lektor und ­Übersetzer, insbesondere von Roberto Bolaño, den er 1995 für die deutsche Leserschaft entdeckte, tätig, schreibt Artikel und Rezensionen sowie ab und zu Vorworte und Einleitungen zu Publikationen.

Erinnerung an eine Stadt am Meer


Johnny Depp wasn’t here! (neither was Ricky Gervais!!)

Touristenwarnung vor einem Café in Barcelona

Ramallets, Foncho, Gensana, Gràcia, Vergés, Segarra – schöne, tönende katalanische Namen. Für mich allerdings einfach spanisch. Zu lesen waren sie an einem Herbstnachmittag des Jahres 1960 im Programmheft des Hamburger Volksparkstadions. Der deutsche Fußballmeister HSV spielte in einem Freundschaftsspiel gegen den FC Barcelona, und ich pilgerte zum ersten Mal ins Volksparkstadion, begleitet von meinem älteren Bruder, denn ich war erst zehn.

Solche Spiele, die heute ihre Bedeutung verloren haben, waren damals eine große Sache. Mit zweiundsiebzigtausend Menschen war das Stadion ausverkauft. Die genannten Namen standen für die Defensive des FC Barcelona. Der Sturm bestand, wie Kenner wissen, aus drei dem Wunderteam der fünfziger Jahre entlaufenen Ungarn, einem Brasilianer und einem Mittelstürmer aus Galicien. Der HSV verlor 2:3, aber das war nicht so wichtig. Ich hatte mich in die Stadionbroschüre vertieft und las immer wieder die Namen dieser Magier aus der Ferne. Irgendwann während der nächsten Monate schnitt ich ein Foto der Mannschaft des FC Barcelona aus einer Zeitung und klebte es mir über das Bett, gleich neben einem Foto von Real Madrid. Die hatten alles gewonnen, was es gab, und das immer wieder. Meine Liebe aber gehörte den zweiten Siegern, auch schon mal den Verlierern. Zwar war der schon damals steinreiche Club der katalanischen Hauptstadt nicht unbedingt das geeignete Objekt solcher Gefühle, aber das wusste ich noch nicht. So begann meine Liebesbeziehung mit Katalonien und seiner Metropole, und vielleicht war es ihr förderlich, dass ich von beidem selbst erst einmal gar keine Vorstellung hatte. Die bekam ich zehn Jahre später.

1970 war Spanien – für mich zumindest – ein fernes, von einer Mischung aus Romantik und Mord und Totschlag durchzogenes Märchenreich, weit im Westen Europas, hinter einer hohen Gebirgskette, den Pyrenäen, gelegen. Eigentlich hat sich daran nichts geändert. Wenn man sich auf der Fahrt durch Südfrankreich hinter Narbonne der spanischen Grenze nähert, meint man angesichts der immer kargeren Landschaft heute noch, es sei ein Ende erreicht. Und doch beginnt dahinter ein Riesenreich, das sich eigentlich bis hinunter nach Feuerland erstreckt.

Der genuin spanische Beitrag zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, der Bürgerkrieg von 1936 bis 1939, reihte sich lückenlos in dieses sentimentale Bild ein. Dieser Bürgerkrieg ist nicht nur gewissermaßen der ideale Gesamtbürgerkrieg aller Zeiten, denn es standen sich wirklich zwei Spanien mit gefletschten Zähnen gegenüber. Er ist auch bis heute wie kaum ein anderer historisiert, fotografiert, literarisiert worden, und neben dem republikanischen Bollwerk Madrid spielt Barcelona mit seinem anarchistisch-trotzkistischen Revolutionsintermezzo die Hauptrolle.

Mein Vater hatte meine Parteinahme vorweggenommen. Er schätzte den Diktator Franco, der diesen Krieg gewonnen hatte, und schimpfte mit nie versiegendem Zorn über die besiegten »Roten« – die perfekten Stellvertreter für seinen Hass auf Kommunisten und alles, was er und seine bürgerlich-deutschen Zeitgenossen dafür hielten. Dabei war er, weit gereist wie kaum ein anderer aus der Generation der um 1910 Geborenen, seltsamerweise kaum jemals in Spanien gewesen. Das Land war, wie für viele Konservative seiner Zeit, auch für ihn ein spitzer Gegenstand, an dem sich seine Wut auf alles Linke stets aufs Neue entzündete. Ich staunte, denn es herrschte doch Friedhofsruhe, und ein uralter Diktator