Peter Langer
Oberhausen im Ersten Weltkrieg
Streiflichter aus der Kriegszeit 1914 bis 1918
Die Begeisterung der ersten Augusttage 1914 erfasste auch in Oberhausen weite Kreise der Bevölkerung. Die bürgerliche Presse berichtete ausführlich darüber. Die realistischere Sicht vor allem in der Arbeiterschaft fand in der Lokalpresse keinen Ausdruck. Aber Indizien, die nicht in das vorherrschende Bild passten, gab es durchaus – dazu unten mehr.
Abb. 1: Soldaten auf dem Oberhausener Bahnhof 1914, GA vom 29. Juli 1934
Auswirkungen auf die Schwerindustrie
Sofort in den ersten Kriegstagen Anfang August wurden 5.879 Arbeiter der GHH und 374 „Beamte“ eingezogen – bei einer Gesamtbelegschaft von 30.000. Dies führte zu spürbaren Einschränkungen der Stahlproduktion. Von sieben Hochöfen konnten drei nur noch „gedämpft“ betrieben werden.6 Als Ersatz für die fehlenden Arbeiter kamen kurzfristig nur zwei Gruppen in Frage: Vor allem Frauen und in geringerem Umfang Jugendliche. Erst ab 1915 wurden auf den Werken der GHH Kriegsgefangene und Fremd- bzw. Zwangsarbeiter vor allem aus Belgien eingesetzt.
„Unbedingt erforderlich […] ist, immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Arbeitsstellen der jugendlichen Arbeiter nur der Ausbildung dieser Arbeiter dienen und die Nachtarbeit keine erhöhte Gefahr für Leben und Gesundheit bringt.“11
„Das eine oder andere Werk kann auch einen Hinweis auf die immer mehr von Regierungsseite gewünschte und geförderte Jugendpflege in den Genehmigungsantrag aufnehmen und dabei ausführen, dass ein unbedingtes Erfordernis einer richtigen Jugendpflege die rechtzeitige Erziehung zur Arbeit ist. Schließlich empfiehlt es sich auch zu bemerken, dass durch die Beschränkung der Verdienstmöglichkeit der Jugendlichen die soziale Lage der Älteren verschlechtert wird, was zweifellos auch einen Einfluss auf die Geburtenzahl ausüben wird.“12
„Die Verrichtung aller Arbeiten, zu denen die Kriegsgefangenen herangezogen werden, wird im Bedarfsfalle durch Anwendung von Gewalt von ihnen gefordert werden, selbst, wenn die Gefangenen der Ansicht sein könnten, dass die Arbeiten sich auf Kriegslieferungen beziehen. Gefangene können sich nicht auf die Verordnungen und Gesetze ihres Landes berufen, denn während der Kriegsdauer unterstehen sie allein den deutschen Verordnungen und Militärgesetzen. […] Im Falle der Weigerung wird man die Arbeit durch Strafen erzwingen. Es liegt umso weniger Grund vor zur Rücksichtnahme, da im Auslande die deutschen Gefangenen mit den größten Gewalttätigkeiten mit allen möglichen Arbeiten beschäftigt werden.“14
Tabelle 1: Beschäftigte im Kohlenbergbau der GHH 1913 bis 191818
Tabelle 2: Beschäftigte in den Sterkrader Betrieben der GHH 1913 bis 191819
„Als die Beschaffung von Lebensmitteln immer schwieriger wurde und die Klagen der Gefangenen über zu schmale Kost sich häuften, übernahm die Hütte am 1. März 1917 die Verpflegung der Kriegsgefangenen und bald darauf auch der freien Belgier in eigene Regie. Die Grundlage der Verpflegung bildeten für die Kriegsgefangenen die Lebensmittellieferungen des Verpflegungsamtes Hiltrup i. W., für die freien Arbeiter (Belgier und Griechen) die der Gemeinden. Diese Lieferungen aber waren zu knapp, um die Leute arbeitsfähig zu erhalten. Die Bemühungen um offizielle Erhöhung der Rationen waren vergeblich, so dass man auf die spärlichen und leider oft trüben Quellen des freien Handels angewiesen war, um nur ein Mindestmaß der Ernährung für die meist schwere Arbeit der Gefangenen zu sichern.“20
Kriegshilfen
Manchen Familienvater an der Front quälte die Not von Frau und Kindern in der Heimat mehr als die ständige Lebensgefahr in den Schützengräben. Die Werksleitungen der GHH erreichte eine große Zahl von Bittbriefen. Nur ein Beispiel sei ausgewählt: Ende 1915 erkundigte sich ein Unteroffizier, vor dem Krieg Maschinist im Werk Neu-Oberhausen, voller Sorge nach dem Schicksal seiner vier Kinder, das älteste davon neun Jahre. Die Versorgung der Zivilbevölkerung war anscheinend schon zu Beginn des zweiten Kriegswinters so schlecht, dass die Frau ihrem Mann einen verzweifelten Brief geschrieben hatte. Die Werksleitung stellte nach eingehender Prüfung des Falles fest, dass Neu-Oberhausen der Frau eine Krieger-Unterstützung von monatlich 23 Mark zahle, ferner einen Mietzuschuss von acht Mark. Zweimal habe sie eine zusätzliche Unterstützung von 20 Mark erhalten. „Auch haben wir Weihnachten eines ihrer Kinder beschert.“ Die Frau habe sich mehreren Unterleibsoperationen unterziehen müssen. Die Kosten für die erste Operation in Höhe von 26 Mark habe ihr der Arzt bis nach dem Krieg gestundet, die Rechnungen für die weiteren Operationen habe die Armenverwaltung übernommen. Für die Kleidung ihrer Kinder habe sie 43 Mark Schulden gemacht, diese werde das Werk begleichen.
„Die Frau macht einen ordentlichen Eindruck, sie scheint aber etwas hysterisch veranlagt zu sein, denn es liegt kein Grund vor, dass die Frau verzweifelt, da ihre Verhältnisse geordnete sind. […] Gleichzeitig haben wir sie gebeten, ihrem Mann solche Klagebriefe nicht mehr zu schreiben und ihn nicht ganz unnötigerweise aufzuregen.“21
Abb. 3: Speisezettel der Kriegsgefangenen 1917
Geschäftsjahr | Mietbeihilfe | Kriegsunterstützung |
Tabelle 3: Gesamtaufwendungen für die Kriegsunterstützung der Familienvon einberufenen Arbeitern bei der GHH 1914 bis 191823
Hunger
Schon im Januar 1915, als alle Illusionen eines kurzen siegreichen Feldzuges zerplatzt waren, hungerten die Menschen in Oberhausen. Die Stadtverordneten mussten eine ganze Sitzung nur dem Mangel an Nahrungsmitteln widmen. Die staatlichen Behörden hatten inzwischen bemerkt, dass Deutschland vor 1914 einen erheblichen Teil seiner Nahrungsmittel hatte einführen müssen. Jetzt stellte der amtierende Oberhausener Verwaltungschef Dr. Koernicke fest, „dass sich der Krieg durch die Blockade Englands anders entwickelt habe als früher. Das Aushungern werde und solle nicht geschehen.“ Die Vorräte reichten angeblich bis zur nächsten Ernte. Dafür müssten die Frauen aber „haushälterisch“ mit den Vorräten umgehen, „um nicht des Hungers wegen Frieden schließen zu müssen“.
„Die Mütter hätten auf ihre Kinder einzuwirken, nicht das Brot zu vergeuden. Jeder könne sparsam sein, ohne dass man Not leide. Man sei durch die langen Friedensjahre verwöhnt und könne viel einfacher leben. Man fände in den Schulklassen zuviel weggeworfenes Brot. Das Frühstück würde in der Pause nicht mehr aufgegessen, manchmal erst auf dem Nachhausewege.“
Der erstaunte Leser fragt sich, woher Dr. Koernicke so genau wusste, wann die Schulkinder ihr Frühstücksbrot aßen und wie oft sie es wegwarfen. Auch „mit dem übergroßen Angebot an Schweinefleisch sei haushälterisch zu verfahren“. Es müsse in „Schnellräuchereien“ zu „Dauerware“ verarbeitet werden – warum dann bei dem angeblich „übergroßen Angebot“ vor allem der Mangel an Fleisch und Fett bei den Schwerarbeiterin frühzeitig zu Unruhen führte, bleibt ein Rätsel. Der Stadtverordnete Funke-Kaiser, Besitzer einer Brotfabrik, ärgerte sich über die Stimmungsmache der Journalisten: „Das Publikum sei durch die Zeitungsschreiber ängstlich geworden. Diese Angst hätte die Hausfrauen zum Mehlaufspeichern gebracht.“ Weil die Hausfrauen Mehl horteten – so der...