Plötzlich und unerwartet
Siggi sah von der Buchhaltung auf, als der Schlüssel im Schloss der Wohnungstür klapperte. Auch Candy spitzte die puscheligen Fledermausohren, legte den Kopf schief und wuffte leise. Als sie erkannte, dass es kein Fremder war, der die Wohnung betrat, gähnte sie herzhaft und steckte die Nase wieder zwischen die winzigen Yorkshire-Terrier-Pfötchen, um das Nachmittagsnickerchen fortzusetzen. Offenbar war Torsten vom Einkauf zurück, denn Siggi hörte ihn in der Küche die Taschen abstellen, bevor er zu ihr ins Wohnzimmer kam.
»Hier, hab ich dir vonne Bude mitgebracht.«
Siggi sah auf und beobachtete ihn skeptisch. Sie ahnte, dass er Hintergedanken hatte. Und tatsächlich. Der spitzen weißen Papiertüte, die Torsten auf den Schreibtisch legte, folgte ein Stapel amtlich aussehender Briefe.
»Außerdem hab ich die Post vom Schränkchen vorne reingeholt. Die liegt da schon seit einer Woche.«
»Danke.« Siggi lächelte knapp und wandte sich wieder den Zahlenkolonnen auf ihrem Block zu, ohne die Post weiter zu beachten. Doch Torsten war offenbar entschlossen, nicht so schnell aufzugeben.
»Hömma, willste die denn nicht langsam mal aufmachen?« Die Frage klang betont vorsichtig, doch Siggi wusste, er würde nicht lockerlassen.
»Wozu? Sind eh nur noch mehr Rechnungen.« Beim Blick auf das Tütchen fühlte sich Siggi allerdings versöhnt, auch wenn sie genau wusste, dass es sich um einen Bestechungsversuch handelte. »Sind das Violas?«
Torsten nickte.
Ein warmes Gefühl der Dankbarkeit erfüllte sie mit einem Mal. Sie war froh, Torsten an ihrer Seite zu haben. »Törtchen, komm her und lass dich knutschen. Du bist der Allerbeste.«
»Weiß ich doch.« Er grinste verlegen und ließ sich von Siggi einen dicken Kuss aufdrücken. Während sie mit spitzen Fingern eines der Veilchendragees aus der Tüte klaubte, beäugte sie argwöhnisch den Poststapel. Sie runzelte die Stirn, zog einen Umschlag mit schwarzem Rand hervor und verschwand damit in der Küche, um ihn zu öffnen. Darin fand sie eine Trauerkarte und einen gefalteten Briefbogen.
»Gottchen! Die Hilde ist tot«, rief sie durch die Tür ins Wohnzimmer.
Torstens hünenhafte Gestalt erschien im Türrahmen. »Hilde? Wer ist denn das nun wieder? Kenn ich nicht.«
»Doch, sicher, kennst du die. Tante Hildegard. Von Sylt. Wir haben hin und wieder telefoniert, und ich hab ihr regelmäßig zum Geburtstag und zu Weihnachten Karten geschickt. Du hast unterschrieben.«
»Aha.« Torsten schüttelte den Kopf. Offenbar war der Groschen noch immer nicht gefallen. »Tante Hildegard? Hör ich zum ersten Mal.«
»Hilde ist … ach, ich weiß auch nicht so genau, wie wir eigentlich verwandt sind. Ich glaube, sie ist eine Cousine meiner Mutter oder so. Sie hat reich geheiratet und ist nach Sylt gezogen. Aber richtig heimisch ist sie da nicht geworden. War oft zu Besuch hier in Dortmund. Zu Nisis Taufe war sie auch da gewesen.« Siggi hielt inne und dachte nach. »Nee, kannste ja nicht wissen. War vor deiner Zeit. Aber sie war in den letzten Jahren nicht mehr gut zurecht. Hab mich immer ein bissken verpflichtet gefühlt und mich gekümmert. Sie hatte ja sonst keinen.«
»Aha«, machte Torsten wieder.
»Na ja, jedenfalls ist sie jetzt tot. Und nun sag bloß nicht wieder ›aha‹.«
»Fährst du zur Beerdigung?«, fragte Torsten nach einer Pause, die vermuten ließ, dass ihm das »Aha« tatsächlich auf der Zunge gelegen hatte.
»Nee, ich fürchte, das ist finanziell gerade wirklich nicht drin. Sylt … Mit dem, was ich noch auf dem Konto habe, komm ich mit Glück gerade mal bis Recklinghausen.«
»So schli