: Grete Meisel-Heß
: Die sexuelle Krise
: Musaicum Books
: 9788027207787
: 1
: CHF 0.50
:
: Sozialstrukturforschung
: German
: 266
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In ihrem Werk 'Die sexuelle Krise' beschreibt Grete Meisel-Heß die aufkommende sexuelle Revolution und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft. Durch ihren nüchternen und dennoch einfühlsamen Schreibstil analysiert sie die Veränderungen in der sexuellen Moral und beleuchtet die Befreiung von traditionellen Normen. Mit einem Fokus auf die psychoanalytische Perspektive bietet Meisel-Heß einen tiefgründigen Einblick in das komplexe Thema der menschlichen Sexualität. Ihr Werk steht in engem Zusammenhang mit den soziokulturellen Entwicklungen des frühen 20. Jahrhunderts und wirft wichtige Fragen zur Selbstbestimmung und Freiheit auf. Grete Meisel-Heß, eine prominente österreichische Schriftstellerin und Feministin, wurde durch ihre kritischen Analysen zu Geschlechterfragen und Sexualität bekannt. Als Teil der Avantgarde des Wiener Kaffeehausmilieus war sie eine Stimme des aufstrebenden Feminismus und trug maßgeblich zur Diskussion über Autonomie und Gleichberechtigung bei. Ihr Werk 'Die sexuelle Krise' ist ein herausforderndes und inspirierendes Buch, das die Leser dazu anregt, ihr eigenes Verständnis von Sexualität und Gesellschaft zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.

2. Das soziale Moment der Ehe



Seine Unerläßlichkeit – Das Ideal der sexuell-sozialen Dauergemeinschaft eines Paares – ein ewiges – Dessen Unterschied von der heutigen Dauerehe.

Daß die Aussichten auf Ehe immer geringer, die Hingabe der Frauen immer bedingungsloser, der Wechsel der Beziehungen immer häufiger wird, ist nicht zu übersehen. Einer neuen Ordnung geht logischerweise viel Unordnung voran, und in diesem Stadium halten wir jetzt. »Wie heiratet und verheiratet man«, fragt die alte Fürstin Tscherbatzky in Tolstojs »Anna Karenina« verzweifelt, da es weder mit der französischen noch mit der englischen Methode mehr klappen will. – Im Volk ist der Besitz eines Weibes noch eine Kostbarkeit, um die nicht selten mit Messern gekämpft wird. Das Überangebot an Weiblichkeit ist nur in den »gebildeten« Klassen zu finden. Der sich anbietenden Weiblichkeit gilt das gesellschaftliche Treiben der oberen Stände. Mit allen Mitteln wirbt da die Frau um den Mann. Das Natürliche aber ist, daß der Mann um das Weib wirbt, kämpft, ringt, wütet. Warum das natürlich ist? Erstlich weil, wie schon erwähnt, die Frau der durch die geschlechtliche Vereinigung gefährdete Teil ist, dann weil der Mann das von Natur aggressive Prinzip darstellt. Durch den Bau seines Körpers ist er gezwungen, ein Ziel seiner Begierde zu finden. In ihrer natürlichen Wesenheit aufs gewalttätigste verbildet, in ihren Funktionen zu der befremdlichsten Verkehrung gedrängt – so stehen einander heute die Geschlechter gegenüber. Das legitime Moment der Ehe, von unzähligen äußeren Konstellationen abhängig, mußte dem natürlichen Werbekampf des Mannes um das Weib den Boden abgraben, ihn in sein Gegenteil verkehren. – Dieses Moment der ehelichen Gemeinschaft – das legitime – wird durch eine den Bedürfnissen der Menschennatur besser angepaßte Wirtschafts- und Sexualordnung vielleicht aufzuheben, zu ersetzen, in seiner Wesenheit zu verändern sein. Das Prinzip der Ehe – der Dauergemeinschaft eines Paares – schließt aber neben dem legitimen noch ein anderes Moment in sich, das in seinem Werte unersetzlich erscheint und in jede andere Neugestaltung einer Dauergemeinschaftsform der Geschlechter hinübergerettet werden muß, soll die Menschheit nicht eines wichtigen Haltes verlustig gehen. Dieses Moment ist es, das im letzten Sinne das eheliche Prinzip – über alle Krisen seiner legitimen Erscheinungsform – darstellt, es ist das unentbehrliche Merkmal, ohne die das »Ding« nicht gedacht werden kann, ein hoher Kulturfaktor, der – vom Ansturm, der dem legitimen Prinzip gilt, gefährdet – gerettet und erhalten werden muß. Dieses Moment ist das der offiziellen sozialen Gemeinschaft, die ein Paar eingeht, die wiederum zwei Funktionen erfüllt: einerseits das betreffende Paar nach außen zu schützen – indem durch den unbehindert offiziellen Zusammenschluß die Kräfte der beiden sich mehr als verdoppeln (zwei Energien verbündet, leisten mehr als zwei einzelne, annähernd soviel als drei) – andererseits ihnen Schutz nach innen zu gewähren, gegen die Gefährdung, die einer dem anderen – unverbunden – bedeutet, eine Kunstwehr zu schaffen gegen jene Elementarmacht, »die heute gut ist und morgen beißt«.


Das charakteristische Merkmal der »Ehe« ist, wie wir auch aus der Geschichte der Naturvölker