Ein Leben, zwischen kindlichen Spielen und höherer Weisheit schwankend, führte Bertha auf dem Schlosse. Sie stand wie auf einer Schwelle, und konnte sich doch mit süßer Behaglichkeit darauf lagern, von Lüften einer zwiefachen Welt angeweht. Die geheimen Künste der Muhme boten sich der Jungfrau willig zum Spielwerke dar, und deuteten doch immer zugleich auf unerhörte Heimlichkeiten in der Ferne. Wenn ihr Bruder vor die Burg kam, erzählte sie ihm gern über die blumigen Zinnen hinaus, wie wohl es ihr gehe, und was für unerhörte Wunder sie schaue. Er dagegen freute sich, daß ihr holdes Antlitz immer rosiger zwischen den weißen Blüten hervorblickte, und so schieden sie beständig in Zuversicht und Freude voneinander.
Vor allem andern Zeitvertreib hatte Bertha einen wunderlichen Spiegel lieb, der zwischen unbekannten Zeichen in die Wand eines abgelegenen Gemaches eingefügt war. Als ihn ihr die Drude zum erstenmal zeigte, und den Vorhang davon zurücke zog, sagte sie: »Da bildre ein bißchen, Kind. Ich habe jetzt Hochwichtiges zu tun.« – Und wie nun Bertha allein vor dem Glase stehn blieb, wußte sie erst gar nicht, wie sie es mit dem Bildern anfangen sollte, aber sie ward dessen bald inne, denn ganz von selbsten fing es in dem Spiegel an zu leben von mannigfachen Gegenden, Tieren, Menschen und Gebäuden. Bald sah man in eine weite Meeresfläche hinaus, und Schiffe zogen drauf hin und her in Handel oder Krieg, unter heiterm Sonnenhimmel oder Nachtsturm. Dann wieder taten sich weite Kirchenhallen auf, und viele betende Menschen drin, oder große Marktplätze mit Schranken und turnierenden Rittern. Die sah aber Bertha weniger gern, denn sie mußte dabei an den Kampf zwischen dem Freiherrn von Montfaucon und dem Grafen von Walbeck denken, und wie viel sie dabei verloren hatte. Wieder wandelte der Spiegel seine Gestaltung in das Innere einer prächtigen Pfalz, und ein großer König saß auf dem Thron, und herrliche Frauen und Ritter um ihn her. So auch ließen sich mohrische Städte schauen, mit ihren seltsamen Einwohnern in langen, reichen Kleidern auf den Gassen. Woran aber Bertha vorzüglich gern ihre Augen weidete, das war eine einsame, es schien hoch nordliche Gegend, voll unerhörter Felsengebilde, und auf einer der höchsten Klippen eine alte, moosige Warte, und durch die Fenster der Warte schimmerte ein Lichtlein heraus, nur ganz dämmrig und verstohlen, aber es kam der Jungfrau vor, als müsse dorten ein wundersam stilles Glück zu finden sein. Sie hatte auch dessen gegen die Muhme kein Hehl; und diese sagte ihr oftmalen: »Was dir so wohl gefällt, liegt weit, weit von hier, hoch in das kalte Schwedenland hinauf. Ich reise auch bald hinüber nach der einsamen Warte; doch kann ich dich leider nicht mitnehmen.« – Diese Reden machten der Jungfrau die nordliche Felsgegend nur noch lieber, und nie lächelte sie anmutiger und zufriedener, als wenn sich ihr beim Bildern im Spiegel der alte Turm offenbarte und das einsame Klippengestein.
Eines Abends spät war die freundliche Drude mit ihrem Pflegekinde noch hinaufgegangen auf einen alten Turm der Ve