Fünfzehntes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Die ersten Strahlen der Morgensonne drangen durch das nasse Laub und begrüßten lächelnd die Reisenden, als sie aus der Köhlerhütte traten. „Ein schöner Morgen nach einer stürmischen Nacht“, sagte Sophie, „so wie die ersten Frühlingstage nach dem trüben Winter, erfüllen mich immer mit froher Hoffnung für mein künftiges Leben, gleichsam als müßte sich mit der veränderten Gestalt der Natur auch das ängstliche Dunkel widriger Verhältnisse auflösen; und dieser freudigen Ahnung kann ich mich nie erwehren, so oft sie mich auch schon getäuscht hat.“
„Diesmal“, sagte Friedrich, „möchte ich dafür stehen, daß Sie nicht getäuscht werden, liebe Freundin; wenigstens so lange wir bei der Gräfin bleiben werden, wird der Dämon des Trübsinnes sicher von Ihnen verbannt bleiben. Einzig ist diese Frau darin, daß sie gleichsam einen Zauberkreis um sich her zieht, den keine Trauer, kein Verdruß überschreiten kann, und wer in diesem Kreise mit ihr lebt, ist eben so sicher vor solchen Anfechtungen, als sie selbst. Sie hat das herrliche Talent, allen, die sie umgeben, ihre frohe Laune mitzutheilen, und selbst die Bekümmertsten zwingt sie gleichsam mit Gewalt zur Fröhlichkeit. Unerschöpflich ist sie in der Erfindung neuer Feste, neuer Lustbarkeiten, neuer Späße, und sie findet so großen Gefallen an der Freude ihrer Gäste, daß sie sich freuen, schon um ihr zu gefallen.“
„Wie gern“, erwiederte Sophie, „möchte auch ich ihr diesen Gefallen thun; darum wünsche ich, daß wir den Stoff zur Trauer diesmal nicht selbst mit uns auf das Schloß führen, und besonders, daß die Wunden, die der arme Adolf davon getragen hat, nicht von Bedeutung sein mögen.“
Friedrich versicherte, daß sie dies gewiß nicht wären, und der Köhler bekräftigte es nochmals, worauf mit Hülfe des letztern die ganze Gesellschaft über den Bach ging. Die Damen und Friedrich setzten sich in den Wagen, der schon wieder in Bereitschaft war, und Franz begleitete sie auf seinem Rosse. So gelangten sie bald zu der Heerstraße, von der sie durch das Ausreißen der Pferde gestern abgekommen waren; hier ließen sie den Wagen zurück, und folgten dem Köhler auf einem kleinen Pfade zu seiner Hütte.
Friedrich, der vor Begierde brannte, Auskunft über den unverschämten Fremden zu erhalten, der sich gestern in ihre Reisegesellschaft eingedrängt hatte, eilte voran, sobald er die Köhlerhütte gewahr wurde, und drang mit Ungestüm in die Thüre. Das Geräusch, das er dadurch verursachte, erweckte Adolf aus einem sanften Schlummer. Niemand war außer ihm in der Hütte, als die Köhlerfrau, die auf Friedrichs ungestüme Fragen berichtete, daß die beiden andern Fremden schon vor Anbruch des Tages wach geworden wären, darauf den Verwundeten beleuchtet, und wie es schien, erkannt hätten, und endlich, nachdem sie einige Worte in fremder Sprache mit einander geredet, sehr eilfertig aufgebrochen wären.
Friedrich gerieth über die verschwundene Hoffnung, sich das Räthsel dieses widerwärtigen Vorfalls zu lösen, beinah in Verzweiflung. Indessen beruhigte ihn die übrige Gesellschaft, die mit dem Köhler hinzugekommen war, und sich um Adolf versammelt hatte. Dieser richtete sich langsam von seinem Lager auf, und blickte die eintretenden Freunde nach einander an. Er schien sich darauf zu besinnen, was mit ihm vorgegangen sei, nach einer Weile aber richtete er lebhafter und freudig seinen Blick auf Julien und streckte die Hand nach ihr aus. Sie näherte sich ihm mit Amanden, nahm seinen Kopf in ihren Schooß, und beide liebkosten ihn freundlich.
Die Freude, seine geliebte Braut und seine Schwester Amanda wieder zu sehen, die, wie er sich entsann, in so großer Gefahr von ihm getrennt worden waren, gaben ihm bald frische Kräfte; man verband seine Wunden, die nichts weniger als gefährlich waren, reichte ihm einige Herzstärkungen, die man aus dem Vorrathe im Wagen mitgebracht hatte, und erzählte ihm darauf den Verfolg der Begebenheiten dieser Nacht. Bald fühlte er sich gestärkt genug, an der Hand der beiden Freunde mit zu dem Wagen zu gehen; man half ihm hinein, und die Gesellschaft setzte nun, hocherfreut über die glückliche Auflösung so feindseliger Begebenheiten, ihre Reise nach dem Schlosse der Gräfin fort,