Von Rio nach Bayern − Impulse und AkteurInnen
Die lokale Ausgestaltung des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung im kommunalpolitischen Kommunikationsraum werden im Folgenden anhand der sechs Untersuchungskommunen Augsburg, München, Donauwörth, Unterhaching, Buttenwiesen und Waging am See nachvollzogen.176 Im Zentrum steht die Frage, welche überregionalen Impulse im jeweiligen lokalen Raum aufgenommen wurden, welche AkteurInnen die Lokale Agenda 21 ausgestalteten und welche Deutungsdimensionen sie in das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung einschrieben. Abschließend wird gefragt, wie sich das Engagement im Rahmen der Lokalen Agenda 21-Initiativen langfristig entwickelte und welche Schwierigkeiten sich im Verlauf für die hier aktiven AkteurInnen abzeichneten. Der Blick auf die Entwicklungswege der Lokalen Agenda 21 geschieht auch in einer internationalen, entwicklungspolitischen Dimension. Anhand der Städtepartnerschaft zwischen München und Harare wird die Ausgestaltung kommunaler Entwicklungszusammenarbeit und der Stellenwert des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung für diese interkommunalen Kooperation untersucht.
Zunächst wird der Blick auf die Impulse gerichtet, durch die das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung auf lokaler Ebene rezipiert wurde. Für die Akteursgruppen, die sich in einer Lokalen Agenda 21-Initiative engagierten, bildete das 1992 auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung verabschiedete internationale Aktionsprogramm Agenda 21 eine namensgebende Referenz. Daher bildet die Umweltkonferenz für das folgende Teilkapitel den zeitlichen Ausgangspunkt für die Untersuchung.
Bevor die inhaltliche Ausgestaltung beleuchtet wird, wird gefragt, welche Impulse für die Thematisierung der Agenda 21 durch die ausgewählten Untersuchungskommunen ausgemacht werden können. Hatte die Konferenz für Umwelt und Entwicklung eine mediale Breitenwirkung entfaltet, die auf der Ebene der Kommunen direkt rezipiert wurde, oder verlief der Diffusionsprozess von der internationalen Politik zur lokalen Rezeption in anderen Bahnen?
Die lokalen Rezeptionswege der internationalen Ereignisse in Rio de Janeiro und hier besonders des Dokuments der Agenda 21 werden im Folgenden zum einen anhand von frühen Dokumenten der Lokalen Agenda 21-Initiativen und Einschätzungen der damals aktiven AkteurInnen untersucht, die es erlauben sollen, den Handlungsimpuls der Gruppen zu eruieren. Zum anderen wird eine vorangestellte Analyse der lokalen Zeitungsbeiträge von Juni 1992 einen ersten Rückschluss darüber geben, wie die Berichterstattung über die Konferenz für Umwelt und Entwicklung auf kommunaler Ebene ausfiel und welche Informationsinhalte sich kommunale Akteursgruppen somit potenziell erschließen konnten.177 Die Frage, welche Tradierungsprozesse auf dem Weg der Agenda 21 von Rio de Janeiro auf die Ebene von Kommunen in Bayern stattfanden und welche Impulse lokal aufgegriffen wurden, ist in bisherigen Forschungsbeiträgen zur Lokalen Agenda 21 nicht explizit thematisiert worden. Im Fokus stand bei diesen Studien vielmehr die Funktionsweise und die Optimierung der Lokalen Agenda 21 Prozesse selbst.178 Um jedoch die Frage zu beantworten, wie die Agenda 21 für die kommunale Ebene anschlussfähig wurde, muss bereits vor Beginn der lokalen Initiativen nachvollzogen werden, auf welchem Weg die Ergebnisse der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung auf der lokalen Ebene rezipiert wurden.
Der Umweltgipfel von 1992 in der Presse
Zur Beantwortung der Frage, welches direkte lokale Echo die Konferenz für Umwelt und Entwicklung entfaltete, wurde die jeweilige lokale Presseberichterstattung vom Juni 1992 über die UN-Konferenz in Rio de Janeiro ausgewertet.179 Ausgehend von der Annahme, dass Medien eine wichtige Instanz für die Etablierung eines bestimmten politischen Sprachgebrauchs sind, kann die Presseberichterstattung über erste lokale Deutungsansätze der Umweltkonferenz Auskunft geben.180 Dieses in den Zeitungen gezeichnete Bild stellt dabei nur eine Komponente von Deutungsdimensionen dar, die sich in der politischen Diskussion weiter verschieben konnten. Lokale Medien spielten jedoch, nicht zuletzt aufgrund ihrer hohen Auflage, eine wichtige Rolle als erste Informationsquelle.181
Die für die Untersuchung ausgewählten Zeitungen berichteten während und auch im Nachgang des Gipfels ausführlich über die in Rio de Janeiro verhandelten Themen. Das in der lokalen Presse gezeichnete Bild über die politischen Auswirkungen des Gipfels schwankte hier zu Beginn zwischen vorsichtigem Optimismus und eher pessimistischen Prognosen.182 Die kritische Berichterstattung erstreckte sich vor allem auf das Argument, dass der Gipfel immense Kosten verursachen würde.183 Vor allem NGOs und grüne Parteien übten in diesem Kontext Kritik an der internationalen Konferenz,184 die auch in der Presse thematisiert wurde.185
Besonders gingen die Zeitungen auch auf die Konfliktlagen zwischen den beteiligten Staaten ein. Im Zentrum standen hier neben Finanzierungsfragen auch die Frage, ob eine Lebensstiländerung des Globalen Nordens oder eine Einschränkung des Bevölkerungswachstums im Globalen Süden das Mittel zur Lösung der globalen Umwelt- und Ressourcenprobleme sei.186 Dabei wurde der Umweltgipfel als wichtiger Schritt für eine Intensivierung entwicklungspolitischer Maßnahmen, allen voran der Armutsbekämpfung porträtiert.187
Ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt der Berichterstattung war die Außenseiterrolle, welche die USA auf dieser Konferenz einnahmen.188 Durch die Weigerung, die in Rio verhandelte Artenschutzkonvention zu unterzeichnen sowie verbindliche CO2-Reduktionsziele zu vereinbaren, zogen die amerikanische Delegation und Präsident George Bush scharfe Kritik auf sich.189 Auch die Finanzierung im Bereich entwicklungspolitischer Maßnahmen sei durch die Vereinigten Staaten erschwert worden.190 So hieß es beispielsweise in diesem Kontext: »Amerika hinkt nur mehr hinterher. [Die] USA haben ihre Führungsrolle im Umweltschutz an Deutschland und Japan abgegeben.«191
Wie das Beispiel des Konflikts mit den Vereinigten Staaten zeigt, lag ein Fokus der Berichterstattung auf außenpolitischen Problemlagen. Das Ende des Kalten Krieges war dabei ebenfalls in seiner umweltpolitischen Komponente Thema.192 So müssten die »mit der Überwindung des Ost-West-Konfliktes freigesetzten Kräfte nun zur Überwindung des Nord-Süd Gegensatzes eingesetzt werden«, um einen »Kalten Krieg um die Umwelt« zu verhindern.193
Der Gipfel in Rio de Janeiro wurde zunächst also primär als außenpolitisches Ereignis eingeordnet. Die innenpolitische Relevanz der Konferenz beschränkte sich in der Berichterstattung zunächst auf die bundespolitische Ebene.194 Dies zeigt sich beispielsweise in einem Interview mit dem damaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer zu den CO2-Reduktionszielen der Bundesrepublik. Deutschland müsse hier gemäß seiner Vorreiterrolle mehr tun als die anderen Staaten, so Töpfer.195 Ein weiteres Thema war die Erhöhung der entwicklungspolitischen Ausgaben der Bundesregierung, die im Zuge der Konferenz in Aussicht gestellt wurden.196 Die kommunale Ebene fand hingegen keine gesonderte Erwähnung.
Die Absenz der kommunalen Ebene zeigt sich besonders an der Berichterstattung über die Agenda 21. Trotz eines hier enthaltenen Kapitels, das sich explizit an die Kommunen wandte, stand dieser Teilbereich der Agenda 21 zunächst nicht im lokalen medialen Fokus. Es liegt nahe, dass dieses Kapitel im direkten Nachgang der Konferenz auch noch nicht bekannt war, da das mehrere hundert Seiten starke Dokument zunächst erschlossen werden musste und die Abschlusserklärung der UN-Konferenz die Rolle der Kommunen nicht explizit thematisierte.197 Die Agenda 21 ordnete man in den...