: Marie von Ebner-Eschenbach
: Die arme Kleine Geschichte der vier Kosel-Geschwister
: Musaicum Books
: 9788027216635
: 1
: CHF 0.50
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: Anthologien
: German
: 390
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Marie von Ebner-Eschenbachs Werk 'Die arme Kleine' ist eine bewegende Erzählung, die das Leben einer jungen Waise im 19. Jahrhundert porträtiert. Der literarische Stil des Buches ist geprägt von Einfühlsamkeit und feiner Beobachtungsgabe. Ebner-Eschenbach gelingt es, die sozialen Verhältnisse und die harten Lebensbedingungen jener Zeit realistisch darzustellen. Mit einer starken Charakterzeichnung und einem fesselnden Erzählfluss entführt die Autorin die Leser in die Welt der Protagonistin und lässt sie an deren Schicksal teilhaben. Dieses Werk steht im literarischen Kontext des Realismus und kritisiert auf subtile Weise gesellschaftliche Missstände.

2.


Ein trauriger Tag auf Schloß Velice. Die Kleine hatte einen der Schwächeanfälle gehabt, die sogar Frau Apollonia Budik in Bestürzung versetzten. Aber Elika erholte sich und verlangte nach ihren Brüdern. Sie kamen und rauften miteinander um den besten Platz zunächst am Gitterbettchen der Schwester, was ihr zwar Vergnügen zu machen schien, von Frau Budik jedoch nicht lange geduldet wurde. Sie mußten sich alle drei schön in eine Reihe setzen, und Josef erzählte Geschichten, die Leopold und Franz über alle Begriffe dumm fanden, die aber der Kleinen gefielen. Sie hörte ganz zufrieden zu, bis sie einschlief.

Der schwere Augenblick, auf den man sich immer gefaßt machte und vor dem man immer zitterte, war einmal wieder in die Zukunft verlegt worden. Im Hause atmeten alle freier, als die Gefahr. in der das Leben des Kindes geschwebt hatte, glücklich vorüberging. Es wird noch trauriger werden, wenn sie fort sein wird. Man hat sich an den Anblick des blassen Geschöpfchens gewöhnt, die Kühlsten, die Gleichgültigsten fühlten eine warme, teilnehmende Regung, wenn sie an ihnen vorbeigetragen oder vorübergeführt wurde in ihrem Korbwägelchen. Sie hatte etwas in ihrer Miene, das sagte: Seid gut mit mir, ihr werdet nicht mehr lange Gelegenheit dazu haben. Jedem flößte sie Erbarmen ein und machte niemandem Mühe. Stundenlang konnte sie in ihrer Gehschule sitzen, mit einer Puppe, einem Schächtelchen, einem Knäuel spielen, oder eine ganze Weile hindurch laut- und bewegungslos mit geöffneten Augen vor sich hinschauen.

»Wie der Papa. Sie denkt auch, lauter gescheite Sachen,« sagte dann Frau Budik, deren Zuneigung für ihren Gebieter sich, nach dem Tode seiner Gattin, durch Mitleid verstärkt, zu einer Art Fanatismus ausbildete. »Sie würde gewiß ein eben solcher Engel und ebenso gescheit werden, wie er ist, wenn sie am Leben bliebe.«

Dem traurigen Tage folgte ein trübseliger Abend. Das Nachtmahl war vorüber, das Kindervolk schlafen gegangen; man hielt, was Charlotte die Orgie der familienüblichen Langweile nannte, im Schreibzimmer Kosels ab.

Renate saß neben dem Herrn Pfarrer auf dem Kanapee vor dem runden Tische und arbeitete an einem Wunderwerke der Strickkunst, einem Prachtkleidchen für ein beneidenswertes Dorfkind. Über ihr schönes, sanftes Gesicht glitt von Zeit zu Zeit ein Schatten resignierter Müdigkeit. Sie beugte sich vor, die schweren Lider fielen zu, aber nur einen Augenblick. Sofort hatte sie sich aufgerichtet und strickte bedächtig weiter. Der Pfarrer, ein alter, freundlicher Herr mit rundem, slavischen Gesichte und kahlem Haupte, war nicht viel munterer. Er zog sehr oft die Tabaksdose aus der Tasche seines langschößigen Rockes und schnupfte ohne rechtes Bedürfnis und ohne rechten Eifer. Sein Gegenüber bildete Kos