: Martin Andree
: Krieg der Medien Dark Tech und Populisten übernehmen die Macht
: Campus Verlag
: 9783593462127
: 1
: CHF 23.60
:
: Gesellschaft
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
GAME OVER, DEMOCRACY? Wir können ihn täglich beobachten - den immer härteren und schrilleren Krieg um Macht und Vorherrschaft in den digitalen Medien. Doch wer kämpft eigentlich gegen wen? Der international renommierte Medienwissenschaftler Martin Andree zeigt, wie eine Koalition aus Dark Tech, Trump und Rechtspopulisten offen nach autokratischer Macht greift. Über digitale Monopole kontrolliert sie zunehmend die Öffentlichkeit. Mit jedem Tag wird es schwerer, unsere freie Welt noch zu retten. Werden wir das Ruder noch herumreißen? Oder wird die westliche Welt in Spaltung, Chaos oder gar Bürgerkrieg enden?

Prof. Dr. Martin Andree lehrt Medienwissenschaft an der Universität zu Köln. Er forscht seit mehr als 15 Jahren zur Dominanz von Big Tech. Führende deutsche Medien (u.a. öffentlich-rechtliches Fernsehen und führende Zeitungen) und Konferenzen (u.a. der Digitalgipfel der Bundesregierung) greifen für Beiträge zu diesem Thema regelmäßig auf seine Expertise zurück. Im Jahr 2020 veröffentlichte er den hoch angesehenen »Atlas der digitalen Welt«. Er erhielt den Günter-Wallraff-Sonderpreis für Pressefreiheit und Menschenrechte für das Buch »Big Tech muss weg« (2023). Prof. Dr. Martin Andree teaches media science at Cologne University in Germany. He has been doing research on the dominance of Big Tech for more than 15 years. Leading German media (including public television and leading newspapers) and conferences (including the Digital Summit of the Federal German Government) regularly call on his expertise for contributions on this subject. In 2020, he published the book »Atlas der digitalen Welt«, which has a strong reputation. He received the Günter Wallraff Special Award for Press Freedom and Human Rights for his book »Big Tech muss weg!« (2023), which has also been published in English (»Big Tech Must Go!«, 2025). He studied in Cologne, Münster, Cambridge and Harvard.

Kapitel 1.
Die Kampfzone


Game over, Demokratie?


Wir erleben ihn täglich im Netz, den Krieg der Medien. Oberflächlich denken wir an Shitstorms, an Hate Speech, an Rants, Gaslighting, Trolling oder Doxxing. Aber entstanden ist er vor vielen Jahren, als digitale Medien anfingen, immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – und die »Altmedien«, also Zeitungen, Fernsehen, Radio in den Schatten stellten. Seit den Nullerjahren erleben wir den kometenhaften Aufstieg einer Handvoll US-amerikanischer Digitalplattformen und den Untergang der analogen Medien.

Durch die bekannten Nebenwirkungen von Polarisierung, Fake News und Desinformation ergaben sich jedoch massive Kollateralschäden in den westlichen Demokratien1 – der Krieg der Medien entwickelte sich immer mehr zu einem Krieg um Wahrheit, Legitimität und Medienfreiheit, der von den USA ausgehend immer größere Teile der westlichen Welt infizierte.

Diese Dynamik machte sich schon in den Zehnerjahren ein politischer Außenseiter zunutze. Überraschend wurde Donald Trump 2016 durch seine aggressive Nutzung von Twitter zum Präsidenten der USA gewählt, vor allem durch die systematische Verbreitung von Lügen und immer neuen, spektakulären Falschmeldungen: »Ohne Twitter wäre ich nicht hier «, sagte er selbst als Präsident.2 Twitter gegen »Mainstream Media«: Die Zerstörung der Wahrheit nahm ihren Lauf, die Post-Truth-Ära begann.3

Direkt nach seinem Amtsantritt trieb er den Krieg der Medien auf die nächste Stufe: Er beschimpfte die etablierten redaktionellen Medien als »Fake News« und schlug später in einem Meme-Video eine Personifikation von CNN zu Boden. Seitdem verbreitete sich der Glaube an vermeintlich »linke Mainstream-Medien«, an »staatlich zensierte Redaktionen« oder »Lügenpresse« unter den Anhängern der digitalen Plattformen in der westlichen Welt – mit immer aggressiveren Anfeindungen von Journalisten und Redaktionen, die mitunter wie Verbrecher beschimpft und behandelt werden.

Nach seiner Wahlniederlage 2020 verbreitete Trump im Netz dann die Lüge der »gestohlenen Wahl« und stachelte seine Anhänger an, zum Kongress zu ziehen, um die geordnete Übergabe der Macht an die neue Regierung zu verhindern. Wenig später stürmten seine Follower tatsächlich das Kapitol. Angesichts des Putschversuchs wurde es wiederum den Eigentümern der digitalen Plattformen mulmig – sie sperrten Trumps Social-Media-Profile. Obwohl Trump, damals noch amtierender Präsident der USA, vor Wut schäumte, musste er sich der Macht von Big Tech und ihrer Plattformen fügen.

Das erzeugte Reaktionen. Der ausgeschlossene Trump machte sich an sein Comeback – und lancierte eine eigene Plattform, Truth Social. Sie verfügt über besonders durchlässige Outlink-Strukturen und immunisiert ihn auf diese Weise gegen die Übermacht der Tech-Konzerne. Niemand kann ihn in Zukunft mehr digital kaltstellen.

Derweil trat der Big-Tech-Milliardär Elon Musk auf den Plan. Er deklarierte sich Anfang 2022 zum »Absolutisten der freien Meinungsäußerung«, wies jede Form von Inhaltsmoderation als »Zensur« zurück, kaufte kurzentschlossen die Plattform Twitter und eliminierte dort weitgehend Strukturen der Kuratierung.4

Musk schlägt sich immer mehr auf die Seite Trumps, empfiehlt ihn offiziell, interviewt ihn auf X. Parallel ergreift er auf der Plattform zunehmend Partei für rechtsradikale Gruppierungen und macht schließlich aktiv Wahlkampf für dieAfD. Proteste etwa von werbetreibenden Unternehmen weist er ab (»Go fuck yourself!«), später verklagt er sie in einem kartellrechtlichen Verfahren – und behauptet, es gehe ihm nur um die Freiheit der Medien. Die angeblich linken (?) werbetreibenden Unternehmen sollen davon abgehalten werden, Einfluss auf die Inhalte der Plattform zu nehmen.5

Krieg der Medien – wir erkennen zunächst, dass er immer größere Kreise schlägt, er umgreift nicht nur die Medien, sondern auch die Wirtschaft, die Politik, das Recht. Die Frontlinien stammen aus den USA, wurden aber vor allem von rechtspopulistischen Gruppierungen wie derAfD in Deutschland längst erfolgreich nach Europa importiert, bis hin zu Pegida, den Corona-Leugnern und einem »Sturm aufs Kapitol light«, einer Attacke auf den Berliner Reichstag.6 Und in diesem Krieg geht es um viele wichtige Dinge – vor allem um Macht und Herrschaft.

Die digitale Medienrevolution


Fast überall, wo coole Digitalevangelisten oder die Helden der Tech-Branche in den letzten Jahrzehnten über die digitale Revolution gesprochen haben, haben sie immer wieder behauptet: Das, was wir heute erleben, sei ganz ähnlich wie früher einmal die Medienrevolution der Druckerpresse. Die habe zunächst die Vormachtstellung des Papstes annulliert und dann auch noch dem Absolutismus durch die Französische Revolution den Garaus bereitet.7

Aus der Perspektive der Mediengeschichte stimmt immerhin, dass solche Machtkämpfe um die Medienherrschaft zu erwarten sind, wenn alte Leitmedien durch neue ersetzt werden. Beunruhigend ist allerdings ein Aspekt. Denn wir können aus der großen Perspektive der Mediengeschichte erst einmal unterstellen, dass auch im Fall der digitalen Transformation Widerstand langfristig ebenso sinnlos wäre wie damals der Widerstand der alten Eliten der Kirche gegen die Druckerpresse, oder der Widerstand des französischen Ancien Régime gegen die Pressefreiheit. Aus einer Perspektive der Zukunft dürfen wir unterstellen, dass die Zeit der analogen Medien endgültig vorbei ist. Selbst wenn Redaktionen viele Inhalte digital anbieten, ist deren Sichtbarkeit relativ gesehen winzig gering. Und ihre analogen Kanäle (Zeitungen, Fernsehen und Radio) werden in der digitalen Medienordnung der Zukunft zunehmend verschwinden. Die digitalen Medien werden »herrschen«, sie stellen schon jetzt die Leitmedien. Wir können davon ausgehen, dass seit der Covid-Pandemie bereits mehr Aufmerksamkeit in digitalen Medien gebündelt wird als in allen analogen Medien zusammengenommen.8 Bis 2029 wird der Anteil der analogen Medien auf unter ein Viertel sinken.9 Wichtig ist: Keine noch so kulturkritische Macht der Welt, keine noch so strenge Regulierung, kein noch so engagiertes Engagement für analoge »Qualitätsmedien« könnte diese Entwicklung stoppen oder gar umkehren.10

Im aktuellen Krieg der Medien wird sich also die digitale Medienordnung durchsetzen – in dieser Hinsicht ist dieser Krieg längst entschieden. Wir müssten auch annehmen, dass diese Transformation den Zuwachs an Medienfreiheit aus den letzten Jahrhunderten massiv verstärken und erweitern wird. Aus mediengeschichtlicher Perspektive würde sich dann die Frage stellen: Was ist die neue, hoffentlich bessere digitale Ordnung, die für uns alle dadurch entsteht? Lässt sich tatsächlich ein digitales Äquivalent zur Reformation des 16. Jahrhunderts oder zu den demokratischen Revolutionen der Zeit um 1800 ermitteln, wie es die Dark-Tech-Konzerne und die Digitalevangelisten immer behauptet haben?

Und vor allem: Wer wäre dann der digitale Martin Luther, der digitale Franklin, Rousseau oder Diderot? Gibt es diese digitalen Figuren schon, deren Umrisse wir bereits am Horizont dieser neuen, digitalen Medienordnung erkennen müssten? Freiheitskämpfer, die für diese neue, bessere Welt kämpfen und die geballten Möglichkeiten der neuen, digitalen Medien für eine neue, bessere Welt nutzen? Hinter denen sich viele Millionen User, Follower und Anhänger scharen? Natürlich gibt es sie – und jetzt wird es gruselig.

Denn es sind ja genau die »Helden« in diesem Krieg der Medien, nämlich die Trumps, die Musks, die Weidels/Höckes, die Zuckerbergs und viele mehr. Sie sind die führenden digitalen »Freiheitskämpfer« unserer Zeit, und sie alle eint, dass sie seit Jahren mutig für Netzfreiheit kämpfen, für Freedom of Speech ohne Limitationen. Sie alle haben sich heldenhaft gegen die...