Das zweite Kapitel
Es war also Nacht, eine dunkle Nacht und die zweite Nacht nach jener ersten Begegnung der zwei Universitätsfreunde auf der Treppe. Am Morgen hatte Herr Christoph Pechlin durch die Stadtpost ein ganz verstohlen von dem Baron in den Briefkasten geworfenes Billett erhalten, folgenden Inhalts:
»Lieber Freund!
Miß Christabel Eddish wartet auf der Durchreise nach München seit gestern in Heidelberg auf ihre Busenfreundin, meine Lucia. Meine Lucia fährt heute mittag mit dem Schnellzuge nach Heidelberg zu Miß Christabel Eddish und nimmt natürlicherweise unsere – ihre Kammerjungfer Charlotte mit sich. Teuerer Pechlin, ich möchte mit Dir reden, ich muß mit Dir sprechen, ich bedarf eines Menschen, eines Freundes, dem ich an den Busen fallen kann. Sei mir dieser Freund und bleibe heute abend zu Hause! Unserer Katharine hoffe ich, ohne auffällig zu werden, entgehen zu können und werde gegen zehn Uhr – meine Gattin habe ich natürlich vorher erst bis Bruchsal zu geleiten – an Deine Tür pochen. Bleibe zu Hause, bester Christoph, in der Erinnerung früherer schöner und freierer Tage und Nächte. In aller Eile
Dein Ferdinand.«
Mit welchem Behagen Pechle dieses Billett dreimal übergelesen und mit welchem innigen Vergnügen er dem herzblutüberströmten Wunsche des Barons Folge gegeben hatte und zu Hause geblieben war, mag sich ein jeglicher selber ausmalen. Er blieb den ganzen Tag zu Hause, still sich freuend, wenn es wieder dunkel würde sein, und ließ sich seinen Bedarf an Getränken und sonstigen Lebensbedürfnissen auf die Stube holen. Ohne im geringsten ungeduldig zu werden, wartete er ruhig, friedlich und lächelnd ab, daß der schwäbische Heerbann die Kathrine aus ihrer Küche abhole, und er hatte wirklich bis gegen zehn Uhr zu warten. Um diese Zeit erschien endlich der Gefreite im ersten Infanterieregiment, Königin Olga – Eberhard Ruckgabele und entführte die holdanlächelnde Maid nach einem Tanzlokal an der neuen Weinsteige – fünf Minuten später klopfte Sachsen, oder vielmehr Meißen an die Tür Pechlins, und konnte derselbe nun endlich mit seiner tiefsten Bruststimme:
»Nur herein!« rufen.
Nie hatte sich Pechles Pforte leiser geöffnet und behutsamer geschlossen, als jetzt vor und hinter dem Freiherrn Ferdinand von Rippgen, königlich sächsischem Assessor außer Dienst aus Dresden. Nie, wenigstens seit langen Jahren nicht, war der Freiherr so kräftig an den Schultern gefaßt und unter solchem barbarischen Geschrei so derb abgeschüttelt worden, als jetzt durch den Ex-Stiftler Christoph Pechle aus dem Schönbuch. Wie gewöhnlich Dialekt und Büchersprache je nach dem Steigen und Fallen der Stimmung und Leidenschaft anmutig durcheinander spielen lassend, donnerte der schwäbische Freund:
»Hurra! Hie gut Württemberg alleweg! Zieh den Rock aus – den Schlafrock mein’ ich. Willscht du eine Pfeife, oder hascht du dir eine Zigarre mitgebracht! Du dankst? Weshalb dankst du? Da, setze dich, Alterle; ich freue mich unmenschlich, dich wieder zu sehen. Sechserle, du jammerst mich; offen gesagt, je länger ich dich nun auch in der Nähe begutachte, desto mehr tust du mir leid; weißt du, und ich bin immer ein guter Mensch gewesen, und es zuckt mir in allen zehn Fingern, dich auch wieder zu einem Menschen zu machen.«
»Ei ja, du bist ja noch immer so grob wie in Tübingen. Du hast dich wenig verändert in den Jahren unserer Trennung; aber jetzt bitte ich dich inständig, laß mich ein wenig zu Atem kommen. Lieber Pechlin, man hat zu steigen, um zu dir hinauf, zu gelangen!«
»