II
Wo Jungfer Marianne das Programm ihres Charakters gibt.
Der Chevalier war kaum einige hundert Schritte fortgegangen, so wurde sein Entschluß, sich nach dem Hunde nicht umzusehen, durch die Neugier stark erschüttert, und es bedurfte einer bedeutenden moralischen Kraft, um den Einflüsterungen des Dämons zu widerstehen.
Als, er über die Brücke in die Stadt ging, bekam die Neugier endlich die Oberhand und er benutzte den eben an» kommenden Pariser Postwagen als Vorwand, auf die Seite zu treten und sich umzusehen. Zu seinem größten Erstaunen sah er, daß ihm der Hund auf dem Fuße folgte.
»Ich habe Dir nichts mehr zu geben, armes Thier!« sagte der Chevalier, indem er seine leeren Taschen schüttelte.
Der Hund schien den Sinn und die Bedeutung dieser Worte zu verstehen, denn er machte einige humoristische Sprünge, als ob er seinen Dank und seine Zufriedenheit zu er» kennen geben wollte; da er nicht wusste, wie lange der Chevalier auf der Brücke verweilen würde, so streckte er sich platt auf den Erdboden aus, legte den Kopf auf die Vorderfüße, sing an zu bellen und wartete dann ruhig, daß sein neuer Freund weitergehe.
Sobald der Chevalier von der Stelle ging, sprang der Hund auf und hüpfte voraus.
Wie das Thier die Worte des Menschen zu verstehen schien, so schien der Mensch die Gebärde des Thieres zu verstehen.
»Ich verstehe Dich,« sagte er, »Du willst mit mir gehen. Aber ich bin ja nicht dein Herr, und um mir zu folgen, mußt Du Jemand verlassen — Jemand der Dich aufgezogen, gefüttert, gehegt und gepflegt hat: vielleicht einen Blinden, den Du geführt, oder eine alte Witwe, deren Trost Du warst! Ein Bisschen Zucker hat Dich bewogen, deinen früheren Herrn zu vergessen, so wie Du später gewiß auch mich vergessen wirst', wenn ich so schwach wäre Dich mitzunehmen. — Geh, geh, Medor, Du bist nur ein Hund, Du hast nicht das Recht undankbar zu seyn. Etwas Anderes wäre es, wenn Du ein Mensch wärest!«
Aber statt dem Befehl zu gehorchen, oder der philosophischen Betrachtung Gehör zu geben, bellte der Hund noch lauter und machte noch lustigere Sprünge.
Diese zweite Gedankenreihe, die im Geiste des Chevaliers wie eine dunkle Flut aufgestiegen war, hatte ihn leider sehr ve» stimmt. Anfangs mochte er sich wohl geschmeichelt fühlen durch die Zuneigung, die ihm der Hund zuerkennen gegeben; aber er bedachte, daß diese Zuneigung wahrscheinlich einen mehr oder minder schwarzen Undank verberge, und er zog die Beständigkeit dieser so leichtsinnig bewilligten Freundschaft in Zweifel. Endlich bestärkte er sich in einem seit vielen Jahren gefaßten Entschlusse, keinem lebenden Wesen fortan seine Zuneigung mehr zu schenken. Wie er diesen Entschluss gefaßt hatte, wer» den wir später erklären.
Aus dieser Andeutung wird der Leser ersehen, daß der Chevalier de la Graverie ein Misanthrop war.
Fest entschlossen, dieses neue freundschaftliche Verhältniß für immer abzubrechen, versuchte der Chevalier zuerst den Hund durch sanfte Ueberredung zu entfernen. Nachdem er ihn Medor genannt und einen ernsten Versuch, ihn fortzuschicken, gemacht hatte, erneuerte er denselben Befehl und gab ihm dabei eine Menge von Namen aus der Mythologie und dem Alterthume: Morpheus, Iupiter, Castor. Pollur, Actäon, Cäsar, Nestor, Romulus, Tarquin, Ajax. Dann kamen die altscandinavischen Namen Ossian, Fingal, Odin, Thor und die englischen Trim, Tom, Dick, Nick, Mylord. Stop an die Reihe; und als auch diese wirkungslos blieben, kramte er alle in seinem Gedächtniß vorräthigen Phantasienamen: Caro, Sultan, Phanor, Türk, Oli, Mouton u. s. w. aus. Aber alledem Hunderegister entnommenen Namen waren nicht im Stande, den hartnäckigen Schottländer fortzujagen. Das von den Menschen geltende Sprichwort: Niemand ist tauber als Einer, der nicht hören will, fand, in diesem Falle wenigstens auch auf die Hunde eine Anwendung.
Der Jagdhund, der vorhin die Gedanken seines neuen Freundes so leicht grrieth, schien jetzt weit entfernt, ihn zu verstehen. Je ernster und drohender das Gesicht des Cheva