Der erste Tag brach an.
17 Uhr,PK,Brazzaville.
Das Bier im Tiefkühler war fast noch warm. Weit weg von seiner perfekten Trinktemperatur. Drei Stammkunden verlangten ihre Bestellung.MâVouala, die alleMamanNationale nannten, machte sie auf das unselige Detail des Thermometers über null aufmerksam, unter dem ihr Alkoholvorrat litt. Das war ihnen schnurzegal. Also gab sie nach. Mit einem Lächeln stellte sie drei Flaschen Bier auf ihren Tisch und nahm dann ihre unterbrochene Tätigkeit wieder auf. Mit ihren mehr als dreissig Jahren Erfahrung wusste sie, dass Grossherzigkeit, Leutseligkeit und Höflichkeit die beste Marketingstrategie sind.
Maman Nationale pries jeden Tag, den Gott ihr schenkte, die Treue dieser drei Kunden. Sie sei gemein, flüsterte man. Durchtrieben nannte man sie hinter ihrem Rücken auch. Wenn diese jungen Leute – normalerweise waren es vier – mit ihren Bierflaschen dreimal anstiessen, bevor sie mit tiefen, schaumigen Schlucken ihre Kehlen benetzten, hielt sie mit ihrer Bewunderung nicht zurück: »Das sind Männer, die das Leben ehren!«, sagte sie. Aus diesen Momenten zog sie schöne Lehren über die Schlichtheit der Existenz. Die Fröhlichkeit, die diese jungen Männer ausstrahlten, ihre Freude am Zusammensein und ihre ungetrübte Sorglosigkeit erweckten in ihr den Wunsch, sie in den Arm zu nehmen. Dass sie zudem der Versuchung widerstanden, bei der Konkurrenz ein richtig kaltes Bier zu geniessen, steigerte ihre Zuneigung noch.
Der Laden vonMaman Nationale boomte im ViertelPK, auf derAvenue d’Asia, die trügerischerweise auf der Seite geteert war, wo sich eine lange Reihe von Kneipen befand. Pandoras Ufer wurde sie genannt. Jede Bar hatte ein Schild, das von Zahlensymbolik inspiriert zu sein schien: Bar 99, Bar 100−1, Bar Q7, Bar 1e+1 = 2100, Bar Esel 4, Bar … Auf dieserAvenue schrieben sie im wahrsten Sinn des Wortes schwarze Zahlen. DieCave5 vonMaman Nationale hatte ein prächtiges Aushängeschild:Cave 72chez Maman Nationale stand da geschrieben. Wenn ein Kunde sie auf die schillernde 72 auf dem Schild ansprach, räusperte sie sich zuerst und antwortete dann: »weil ich von weit her komme«. So begann sie mit ihrer Geschichte, die alle Stammkunden auswendig hersagen konnten. Sie wussten, dass der Verkauf vonBeignets der Beginn ihres Aufstiegs gewesen war. Jungen Studenten Kredit einzuräumen gehörte zum Erfolg dazu. Als sie eine siebenstellige Summe angespart hatte, beschloss sie, sich dem Verkauf von Alkohol zuzuwenden. Sie hatte eineCave gekauft und sie inCave 72 umbenannt. Diese Zahl war für sie ein Symbol des Sieges: 1972 war ein Glücksjahr gewesen, der Kongo hatte aus Kamerun den Afrika-Cup heimgebracht. Von derBeignetverkäuferin zur Barbesitzerin aufzusteigen war für sie ein Sieg übe