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»Na du frisch geduschtes Blumenmädchen, wie ist die Lage?«
Serge drückte Sully das eiskalte Bier wie eine Eintrittskarte in die Hand, als er den urigen Gewölbekeller unter dem Haupthaus betrat. Die heiligen Hallen der Kartenmagie, wie Sullys Patenonkel Fernand zu sagen pflegte.
»Die Lage ist gut, merci. Südwestrichtung. Der Efeu macht mir zu schaffen, aber das ist nichts, was sich nicht beheben lässt. Außerdem gibt es schlimmere Beleidigungen alsBlumenmädchen, musst du alter Gauner wissen. So, und nun misch endlich die Karten, bevor du noch auf dumme Gedanken kommst.«
»Ja, ja, erst zu spät kommen und dann meckern. So sind sie, die Preußen. Immer so, wie es ihnen passt.«
Serges ansteckendes Lachen erfüllte den Raum. Er griff nach einem makellosen Deck Karten auf dem Tisch. Im Hause Flammang wurde die Kartentradition großgeschrieben und stets darauf geachtet, dass abgegriffene Rückseiten das Spiel nicht beeinflussen konnten. Erstmals fragte sich Sully, wo all die ausrangierten Karten abgeblieben waren.
»Wenn man nicht wüsste, dass ihr beide euch eigentlich gut leiden könnt …«
Claire schüttelte den Kopf, ihr schiefes Lächeln auf den Lippen, und trank einen großen Schluck Bier. Vielleicht, um sich den Gepflogenheiten der etablierten Männerrunde anzupassen, vielleicht aber auch, weil sie wider Erwarten wirklich gut hineinpasste.
Sully stellte seine Flasche ab, hob beschwichtigend die Hände und deutete Serge, erneut zu mischen.
»Und, Claire«, versuchte Fernand ein konstruktives Gespräch zu beginnen, »haben Sie sich an Ihre neue Position gewöhnt?«
Sully fand es seltsam, dass Fernand Claire weiterhin siezte und als Madame betitelte. So war der alte Charmeur eben, obwohl er Claire mehr als einmal hatte rülpsen hören.
»Ich kann nicht klagen.«
Ihre Stimme war tonlos. Nach Claires Beförderung gegenüber ihrem alten Rivalen Hoffmann hatten ihre blauen Augen stets ein kleines bisschen mehr gestrahlt. Doch heute nicht.
»Hört sich irgendwie anders an. Ist etwas passiert?«, lenkte Sully ein.
Seufzend lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück. »Ach, das ist es ja gerade. Eben nicht!«
Aha, daher wehte der Wind. Claire war bei der kleinen Polizeidienststelle in Gréngdall tätig. Sie war zielstrebig und klug, hatte sich vor Kurzem durch Sullys Hilfe erstmals gegen ihren Rivalen behaupten können und war auf einen führenden Posten befördert worden. Sully zweifelte nicht daran, dass sie nun auf eine Möglichkeit wartete, um ihrem Chef beweisen zu können, dass er richtig daran getan hatte.
»Also zu wenig Mord und Totschlag in der Nachbarschaft, ja?«, witzelte Serge, aber Sully wusste, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. »Na, dann hast du ja immerhin genug Zeit, um dein Verständnis für die Karten auf das nächste Level,unser Level, zu bringen.«
Serge vollführte ein Kunststück mit den Karten, das ein Dealer in einem Casino hätte erblassen lassen.
Dabei war er es gewesen, der Claire als vierten Kopf für die Runde vorgeschlagen hatte, was in Serges Welt einem Ritterschlag glich. Erst da hatte Sully erfahren, dass Claire und Serge zusammen zur Schule gegangen waren und sie daher eine gemeinsame Vergangenheit verband. Wobei Sully noch nicht recht sagen konnte, wie die ausgesehen hatte. Da Serge ihr Kalkül und ihre Professionalität jedoch gelobt hatte, wusste Sully, dass er Claire gerade nur aufziehen wollte. Wie eigentlich jeden. Immer.
Sie ließ die Worte an sich abblitzen. Ihr war offensichtlich nicht nach Frotzeln zu Mute. »Ja. Irgendwie schon. Zu wenig Mord, zu wenig Totschlag.« Sie begrub ihr Gesicht unter ihren Händen. »Pardon, das darf man nun wirklich nicht sagen, aber …«
»Wo drückt der Schuh, meine Liebe?«, fragte Fernand.
Claire nahm einen weiteren Schluck Bier. »Ach, es ist … Mir fällt die Decke auf den Kopf. Und nun will Premier Commissaire Thill, dass ich meine Zeit nutze, um eine Vortragsreihe für die neuen Rekruten an der Polizeischule über das perfekte Verbrechen zu starten. Ist das nicht schrecklich?Das perfekt