VOMIT
»Und dann sagte der Junge, ›Ich wünschte, ich wäre Araber.‹« Johannes Baumkamp hielt inne, ließ die Worte wirken, als seien sie ein besonders exotisches Gewürz für sein Abendessen. Sein Blick wanderte kurz zu Marina, bevor er wieder zur dampfenden Pfanne zurückkehrte. »Zuerst dachte ich, ich hätte mich verhört. Natürlich hakte ich nach.«
Er holte das Tomatenmark aus der Kühlschranktür und begann, es sorgfältig in die heiße Pfanne einzurühren. »›Warum gerade ein Araber?‹, fragte ich ihn. Und weißt du, was er sagte? ›Da sind immer alle zusammen und so. Ich weiß das wegen Ahmad, da bin ich öfter. Wenn da einer Stress machen will, stehen alle hinter ihm. Dem kommt keiner so schnell krumm.‹« Johannes imitierte die wörtliche Rede seines jungen Klienten, indem er »isch« statt »ich« sagte und die Wörter »Stress« und »krumm« mit einem rollenden R aussprach.
»›Und bei dir zu Hause?‹, fragte ich ihn. Da wurde er plötzlich ganz still und er sagte nur: ›Kannste vergessen. Papa ist nie da. Mama ist nachmittags schon blau.‹«
»Traurig«, murmelte Marina, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch. Sie wusste, was Johannes erwartete – eine Bestätigung, eine Deutung, etwas, das die zermürbende Realität des Jungen in ihrer Komplexität aufgriff und greifbar machte. Doch sie schwieg. Johannes legte die Kelle zur Seite, griff nach dem Rotwein und schenkte sich ein. Sein Blick war ernst, aber nicht ohne die übliche Spur von Stolz – stolz darauf, diese Geschichten tragen zu können, sie zu entwirren und zu verstehen. »Ohne das Aggressionspräventionsprogramm, das seine Therapie finanziert, wäre der Junge verloren. Was er vermutlich trotzdem ist.«
Das Therapeutenpaar nutzte die Expertise des anderen zur allabendlichen Supervision, doch diesmal ließ sich Marina nur den Geschmack der Puttanesca auf ihrer Zunge zergehen, während die Worte ihres Mannes noch in der Luft hingen. Johannes war so in seine Geschichte vertieft, dass er die Stille nicht bemerkte. Oder vielleicht störte sie ihn einfach nicht.
»Morgen ist schon wieder Donnerstag«, warf er schließlich beiläufig ein, während er die restlichen Nudeln auf seinem Teller umherschob.
»Ich weiß. Warum?«
»Da kommt der Künstler wieder. Nils Larsen. Du weißt schon, der aus der Süddeutschen. Der, der den Sony World Photography Award gewonnen hat. Jetzt ist er überall: FAZ, Spiegel, S