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Menschsein in Beziehungen
Klare sexualethische Regeln gelten als typisch christlich. Vor allem außerhalb der Kirche gelten sie auch als typisch aus der Zeit gefallen, als ein Relikt der Welt vor der Aufklärung, mit dem sich heute keine Orientierung mehr geben lässt. Für nicht wenige ist damit der Ansatz einer christlichen Ethik insgesamt gescheitert. Wir sind der Überzeugung, dass es nicht die Orientierung am Evangelium war, die problematische Konsequenzen hatte, sondern der Versuch, aus der Bibel zu jeder wichtigen Frage eindeutige Auskunft gewinnen zu wollen. Ein solcher Umgang mit der Bibel ist weder bibeltreu noch auch nur respektvoll. Der Anspruch, der Bibel gerecht zu werden, meint etwas anderes, als eigenen bzw. traditionellen Einschätzungen mit der Berufung auf die Bibel eine unangreifbare Autorität zu verleihen.
Wie aber lässt sich in diesen Umwandlungen so etwas wie ein ethischer Kompass gewinnen? Woran orientiert man sich christlich gesehen in gesellschaftlichen Wandlungsprozessen?
2.1Gottebenbildlichkeit des Menschen als anthropologische Grundlage
2.1.1Bedeutung des Menschenbildes für die theologische Ethik
In der neueren Theologie ist es Konsens, dass ethische Orientierung nicht allein durch konkrete Regeln und Normen vermittelt werden kann. So unverzichtbar diese jeweils bleiben, ist es vor allem das Bild bzw. das Verständnis des Menschen aus christlich-biblischer Sicht, das entscheidend ist. Im TextGott und die Würde des Menschen ist das Ergebnis der Bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands für ethische Fragen unterschiedlichster Art: Die»entscheidende Orientierung wird im biblischen Bild des Menschen gefunden.«1 Ähnlich stark wird die Bedeutung der Anthropologie in den jüngsten ethischen Studientexten der GEKE (Gemeinschaft Evangelischer Kirchen Europas) und der katholischen Kirche herausgestellt.2
So haben auch wir im ersten Band unserer Ethik vielfach betont, dass die Orientierung an den Narrativen und Normen der biblischen Texte besonderes Augenmerk auf das dort entfaltete Gottes- und Menschenbild legt.3 Dabei konnten wir uns anschließen an einen sehr breiten Konsens über ein relationales Menschenbild4 in der heutigen Theologie sowohl in evangelischen als auch in katholischen Ausprägungen.
Im Zusammenhang mit diesem Narrativ machen wir deutlich, dass es in derStory stehende Bezugspunkte gibt: Zielbestimmung des Lebens, Orientierung am Handeln Gottes und das Verständnis des Menschen. Die Sicht des Menschen ist ein Kristallisationspunkt des Story-Konzepts. Der Mensch als Geschöpf, als Sünder:in, berufen, gerechtfertigt und geheiligt, zur Vollendung bestimmt – im Verständnis des Menschen lässt sich die Logik der ganzen Story verdichten. Umgekehrt gilt: Ohne narrative Entfaltung wäre die christliche Sicht des Menschen hoffnungslos abstrakt. Es ist der besondere Beitrag des Story-Konzepts, die Vielschichtigkeit eines jeden Verständnisses vom Menschen von Anfang an bewusst zu machen.
An dieser Stelle führen wir nun in diesem Band die Reflexion weiter. Auch das Verständnis von Sexualität und Geschlecht ist eine eminent anthropologische Herausforderung.
Der Begriff des »christlichen Menschenbildes« ist seit langem gängig und vermeintlich selbstverständlich. Dabei