»Vergiss nicht, mir dein Rezept für die Zucchini-Soße zu schicken«, rief ich von meiner Parzelle im Gemeinschaftsgarten von Winter Harbor aus Simone zu, als diese mit einer Riesentasche voller Zucchini vorbeiging.
»Kriegst du!«, antwortete Simone und ging zusammen mit ihrem Mann Felipe, der eine weitere, ebenso große, prall gefüllte Tüte Zucchinis schleppte, weiter zu ihrem Wagen auf dem Parkplatz des Freizeitzentrums. Abgesehen von einer großen Azalee war die Parzelle des Paares ausschließlich mit Zucchini und Tomaten bepflanzt.
»Bis nächste Woche, Lily!«, rief mir ein weiterer passionierter Gärtner mit einem fröhlichen Winken zu, der ebenfalls zu seinem Wagen ging, nachdem er den Abend damit verbracht hatte, seine Pflanzen zurückzuschneiden, Unkraut zu jäten und zu wässern.
Als die Septembersonne unterging und der Himmel sich dunkler färbte, verließen immer mehr Kursteilnehmer das Dutzend Hochbeete auf den quadratischen Parzellen, die den Hobbygärtnern zur Verfügung standen. Sogar die Langzeitpächter mit den besten, auf unbestimmte Zeit gepachteten Parzellen, die schon am längsten in der Stadt lebten und nicht im Traum daran dachten, ihren Garten an eine Zugezogene wie mich abzutreten, verließen nach und nach die Anlage. Ich blieb noch. Ich hatte meine Parzelle nur für die Dauer des einjährigen Kurses, den ich belegt hatte, so dass ich jede Minute ausnutzen wollte. Wer wusste schon, wo ich nächstes Jahr sein würde?
Das Wetter war ungewöhnlich mild für diese Jahreszeit, wobei technisch gesehen ja noch Sommer war. Tagsüber war es sehr heiß, und auch die Abende waren, wenngleich deutlich kühler, noch so warm, dass ich noch keine Jacke brauchte. Ich trug die meiste Zeit nur Tanktop und Shorts oder irgendein Sommerkleid. Natürlich würde auch ich früher oder später meine Pullis und Hoodies wieder hervorkramen müssen, aber noch genoss ich die Sonne und Wärme, die Mutter Natur uns schenkte, in vollen Zügen.
»Und hier noch etwas wegschneiden, dann müsste es gut sein. Was meinst du, Prinzessin?« Ich neigte den Kopf und steckte die Nase in eine frische Rosenblüte der Sorte Princess Alexandra of Kent. Ich atmete tief ein, und mir wurde ein wenig schwindlig vom göttlichen Duft nach Tee mit Zitrone. Ich registrierte auch die Anklänge von Schwarzer Johannisbeere, die dieser Rosensorte ebenfalls eigen war, und seufzte stolz. Ich hatte diese spezielle Rosensorte zu Ehren meines verstorbenen Vaters gewählt, der Kent geheißen hatte. Darum lag mir diese Rose auch ganz besonders am Herzen, weshalb ich sie mit solcher Hingabe hegte und pflegte. Wenn ich mich mit ihr beschäftigte, hatte ich das Gefühl, meinem Vater nahe zu sein, als wäre das seine Seelenblume oder so etwas in der Art.
»Das sieht gut aus, Lily. Mit der Princess Alexandra könntest du glatt Preise gewinnen«, bemerkte Rudy, ein weiteres Klubmitglied, freundlich, als er an mir vorbeiging, die Arme voller Mangold und Karotten aus eigenem Anbau. »Ich wünschte, meine Ausmus sähe so gesund aus, aber ich werde einfach diese verfluchten Blattläuse nicht los.«
»Ich habe zu Hause noch Marienkäfer übrig. Ich kann sie dir gerne nächste Woche mitbringen, wenn du magst«, sagte ich und wischte mir den Schweiß von der Stirn.
Ein Lächeln erhellte Rudys tiefgebräuntes, ledriges Gesicht. »Ich gebe dir im Tausch gegen die Marienkäfer eine Tüte von meinen Zucchini und Roma-Tomaten. Ich habe mehr davon, als ich essen kann.«
»Klingt gut.«
Er winkte mir noch einmal zu und ging dann weiter zu seinem Wagen. Ich schob mir den Strohhut aus dem Gesicht, stemmte die Hände in den schmutzigen Handschuhen in die Seiten und betrachtete hochzufrieden meinen sechs mal drei Meter großen Garten, der strotzte vor Leben. Leben, das ich eigenhändig erschaffen hatte. Leben, das ich aus Samen gezogen hatte. Meine Mutter und meine Schwestern hatten mich damit aufgezogen, dass bei mir sogar ein Stein eingehen würde, so dass ich mich spontan angemeldet hatte, als ich den Werbeflyer für den Gartenbaukurs in die Finger bekam. Ich hatte meiner Familie beweisen wollen, dass ich sehr wohl einen grünen Daumen hatte.
Und das war mir gelungen. In meinem Garten gediehen die Pflanzen prächtig und waren rundum gesund. Keine einzige war mir eingegangen. Zumindest bis jetzt nicht.
Im Gegensatz zu den meisten Hobbygärtnern hier hatte ich nur wenig Gemüse angebaut. Auf meiner Parzelle gab es vor allem Blumen, insbesondere Rosen. Ich liebte Rosen, obwohl mein Vorname Lily – Lilie – lautete und meine älteste Schwester Rose hieß. Dann kamen Dahlia und Iris und zuletzt ich. Mein Dad hatte uns immer als seinen kleinen Strauß Blumen bezeichnet.
Die erneute Erinnerung an meinen Dad versetzte mir einen Stich. Ich vermisste ihn so sehr. Während meiner Kindheit in Eugene hatte er viel Zeit in unserem Garten verbracht. Er hatte vorwiegend Gemüse und Kräuter angebaut, weshalb ich neben meiner Princess, die mich mit ihrer Schönheit und ihrem Duft begeisterte, noch drei Gemüsesorten angebaut hatte: eine Kürbispflanze, die ich Prudence getauft hatte und von der ich mir genug Kürbisse für einige Pies an Thanksgiving erhoffte, eine Kirschpaprika namens Elroy zum Aufpeppen meiner Salate und last but not least meine Kirschtomate Mordecai, die den ganzen Sommer über Unmengen süßer, saftiger Früchte hervorgebracht hatte, die ich zu köstlichem Salat Caprese verarbeitet hatte.
Beim Gedanken an einen Salat Caprese begann prompt mein Magen zu knurren. Es war schon fast neun, und ich hatte noch nicht zu Abend gegessen. Ich hatte Mordecai geplündert, und die Ausbeute stand zusammen mit einigen Kirschpaprikas in meinem Weidenkorb bereit.
Ein sarkastisches Schnauben riss mich aus meinen Gedanken, und ich setzte eine finstere Miene auf, da ich sofort wusste, von wem dieses Schnauben kam.
»Hast du ein Problem?«, fragte ich an einen der wenigen noch verbliebenen Hobbygärtner gewandt.
Colton Winters. Mein Erzfeind. Der unfassbar begabte Kursteilnehmer, dessen Hochbeet sich schräg gegenüber von meinem befand.
»Deine Dahlien brauchen Wasser«, sagte er und schwenkte den Schlauch des Freizeitzentrums, mit dem er gerade seine eigenen Pflanzen gewässert hatte. »Sie sehen erbarmungswürdig aus«, fügte er mit einem fiesen Grinsen hinzu.
Verräterische Hitze schoss mir ins Gesicht. »Du hast doch auf deiner Parzelle gar keine Dahlien, was verstehst du also davon?«
Ich konnte nicht erkennen, ob er die Augen verdrehte oder nicht, weil der Idiot eine dunkle Sonnenbrille trug. Wir standen im Schatten einer riesigen Eiche, er trug sie also nur, weil er sich einbildete, damit lässiger auszusehen. »Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, wenn eine Blume am Verdursten ist.«
Ich knirschte mit den Zähnen. »Ich wollte wässern, wenn ich mit dem Zurückschneiden fertig bin.«
Colton hob die Pistole des Wasserschlauchs. »Lass mich dir beim Wässern helfen.« Er zielte auf mich, drückte den Hebel durch, und ich war innerhalb von Sekunden klatschnass.
Ich schnappte nach Luft.
»Ups. Das tut mir aber leid, Stargazer.« Er lachte hämisch und warf den Schlauch neben mir auf den Boden, anstatt ihn an seinen Platz seitlich am Gebäude zurückzubringen. Dann wandte er sich ab und kehrte wiegenden Schrittes zu seinem Hochbeet zurück.
Ich blickte ihm finster nach. Er verpasste mir immer wieder neue Spitznamen in Form von Liliensorten. Heute waren es Stargazer und Tiger Lily, vergangene Woche Calla, davor Turk’s Cap und Easter Lily. Googelte der Mann zu Hause jede Woche, bevor er herkam, Liliensorten, um mich zu ärgern? Wahrscheinlich. Was für ein Arschloch.
Ich beachtete ihn nicht weiter – oder versuchte zumindest, ihn zu ignorieren, was gar nicht leicht war, nachdem er mir gerade eine unfreiwillige Dusche verpasst hatte – und stutzte noch einige weitere Rosen, schnitt mir drei dunkelviolette Dahlien für einen Strauß ab und schnappte mir dann den Schlauch, um meine Babys zu wässern.
Ich war fast fertig und wollte gerade heimgehen, um zu essen und zu duschen, als ich aus dem Augenwinkel etwas Orangefarbenes auf der inzwischen verlassenen Parzelle schräg gegenüber wahrnahm.
Im nächsten Moment steuerte ich geradewegs auf...