: Axel Hutter
: Sprachanalyse und Metaphysik Eine Einführung in die moderne Philosophie
: Verlag C.H.Beck
: 9783406823473
: Beck Paperback
: 1
: CHF 17.80
:
: Philosophie: Allgemeines, Nachschlagewerke
: German
: 269
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Philosophie hat nicht das Unbekannte, sondern das Selbstverständliche und vielleicht allzu Vertraute zum Thema - um seine Fragwürdigkeit und Rätselhaftigkeit bewusst zu machen. Zum Selbstverständlichen in diesem Sinne gehört unsere Sprache. Ebenso liegt, wie Axel Hutter auf originelle und nachvollziehbare Weise zeigt, das 'Metaphysische' offen vor unseren Augen - dass wir in der Welt und in der Zeit leben, 'ich' sagen und frei sind -, und doch sehen und verstehen wir es nicht. Dass Sprache und Metaphysik in ihrer jeweiligen Selbstverständlichkeit offen vor unseren Augen liegen, macht Philosophie möglich. Doch gerade weil sie so offensichtlich erscheinen und damit verborgen bleiben, wird Philosophie nötig. Axel Hutters Buch ist eine ungewöhnlich verständliche und ungewöhnlich aufregende Einführung in die moderne Philosophie. Sie beginnt mit der sprachanalytischen Wende, die vornehmlich mit den Namen Frege und Wittgenstein verbunden ist. Hutter zeigt, wie aus dieser modernen Wende zur Sprache, die der traditionellen Metaphysik kritisch gegenübersteht, der Ansatz für eine neue Metaphysik gewonnen werden kann. Seine Einführung macht dabei überzeugend Werbung für einen Denkstil, der die moderne Philosophie maßgeblich geprägt hat.

Axel Hutter ist Professor für Theoretische Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universitä München. Er forscht und lehrt zur Sprachphilosophie und Erkenntnistheorie sowie zur klassischen deutschen Philosophie und analytischen Philosophie. Zuletzt ist von ihm auf Deutsch erschienen:"Narrative Ontologie" (2017).

2

Begriff, Funktion und Gegenstand


I


Frege geht bei seinen Überlegungen zu Sinn und Bedeutung sprachlicher Ausdrücke vom Eigennamen aus:

Die Bedeutung eines Eigennamens ist der Gegenstand selbst, den wir damit bezeichnen. (SB, S. 27)

In dem Satz «Der Morgenstern ist der Abendstern» werden zwei Namen, genauer: zwei Eigennamen, in ein Verhältnis gesetzt: Der Satz sagt aus, dass sie identisch sind. Beide Namen, die Bestandteil der Aussage sind, stehen also gleichwertig auf derselben logischen Ebene: Sie können gegenseitig ausgetauscht werden. Der Satz «Der Morgenstern ist der Abendstern» ist identisch mit dem Satz «Der Abendstern ist der Morgenstern». In beiden Sätzen bedeutet das «ist», das beide Namen verbindet, eine Identität im Sinne der Austauschbarkeit.

Gerade deshalb ergibt sich überhaupt erst die zentrale Frage Freges, was diese Identität eigentlich genau bedeutet, da hier zwei Namen identisch gesetzt werden, die doch augenscheinlich verschieden sind. Denn der Satz «Der Morgenstern ist der Abendstern» ist offenkundig formal anders gebaut als der Satz «Der Morgenstern ist der Morgenstern» oder der Satz «Der Abendstern ist der Abendstern». Die ursprüngliche Frage lautete deshalb: Was bedeutet die Identität zwischen zwei unterschiedlichen Eigennamen? Wie ist diese Identität zu behaupten, unbeschadet der Differenz zwischen den beiden Namen?

Freges Lösung dieser Rätselfrage, die wir in der ersten Vorlesung ausführlich behandelt haben, besteht in der Unterscheidung von Sinn und Bedeutung. Verschiedene Eigennamen können sich auf denselben Gegenstand beziehen, sodass sie dieselbe Bedeutung haben. Ihre Verschiedenheit betrifft dann die Art und Weise, wie derselbe Gegenstand in ihnen jeweils aufgefasst wird, d.h. die Verschiedenheit betrifft den Sinn der Namen. Das ist Freges Antwort auf die Frage, was die in dem Satz «Der Morgenstern ist der Abendstern» behauptete Identität bedeutet. Beide Eigennamen beziehen sich in ihrer identischen Bedeutung auf den Planeten Venus. Der Planet Venus ist in den beiden Eigennamen aber je verschieden gegeben, sodass die beiden Namen sich ihrem Sinn nach unterscheiden. Diese Sinn-Verschiedenheit der beiden Namen wird von der Aussage «Der Morgenstern ist der Abendstern» einerseits vorausgesetzt, andererseits macht die Aussage aber die identische Bedeutung beider Namen deutlich. Die zugrunde liegende Identität der Bedeutung macht die Identitätsaussage wahr, während die gleichzeitige Verschiedenheit des Sinns sie darüber hinaus informativ macht, weil die Identität zwischen zwei Namen hergestellt wird, die sich dem Sinn nach unterscheiden.

Bertrand Russell hat diesen wichtigen Gedanken Freges aufgegriffen und anhand eines eigenen Beispielsatzes deutlich gemacht: «Scott war der Verfasser von ‹Waverley›.» Der Autor Walter Scott und der Verfasser des Romans «Waverley» sind identisch, d.h. beide Eigennamen haben dieselbe Bedeutung, weil sie sich auf dieselbe Person beziehen, aber dieseeine Person kommt in den beiden Eigennamen auf je verschiedene Weise zum Ausdruck. Der Ausdruck «der Verfasser von ‹Waverley›» ist hier also ebenfalls ein Eigenname, auch wenn das bei diesem sprachlichen Ausdruck nicht so offensichtlich ist wie bei dem Ausdruck «Walter Scott», der sofort als Eigenname zu erkennen ist. Denn auch der Ausdruck «der Verfasser von ‹Waverley›» bezeichnet – wie jeder Name – einen einzelnen Gegenstand oder eine einzelne Person.

Walter Scott veröffentlichte 1814 den Roman «Waverley» zunächst anonym, sodass die Frage, ob er der Verfasser sei, in England viel diskutiert wurde. Selbst der englische König soll sich danach erkundigt haben. Deshalb kann Russell erläuternd sagen: «Der Satz ‹Scott war der Verfasser vonWaverley› hat eine Eigenschaft, welche der Satz ‹Scott war Scott› nicht hat, nämlich die Eigenschaft, dass Georg IV. wissen wollte, ob er wahr sei.» Die Sinndifferenz zwischen den beiden Namen macht auch hier die Frage möglich; ihre Bedeutungsidentität macht die Aussage, die beide Namen mit einem «ist» verbindet, dagegen wahr.

Ein Name bezieht sich also auf einen Gegenstand (oder eine Person), der (oder die) dem Namen seine Bedeutung verleiht. Diese einfache und irgendwie befriedigende Singularität der eindeutigen Beziehung des Namens auf «seinen» Gegenstand, den der Name bedeutet, mag der Grund dafür sein, dass Frege sich bei seiner Erörterung der Unterscheidung von Sinn und Bedeutung an Namen orientiert.

II


Frege weiß aber sehr wohl, dass die zentralen Bezeichnungen in der Sprache nicht ausschließlich aus Namen bestehen. Neben den Namen treten nämlich auch bezeichnende Ausdrücke auf, die einer ganz anderen Sprach-Logik folgen, auch wenn sie auf den ersten Blick den Namen ähnlich sehen und deswegen häufig mit ihnen verwechselt werden. Denn die Sprache kennt nicht nur Namen, sondern auch Begriffe.

Der Unterschied zwischen einem Namen und einem Begriff wird an den folgenden Beispielen deutlich, die den bisher betrachteten Namen jeweils einen Begriff zuordnen:

Der Morgenstern ist ein Planet.

Der Verfasser von «Waverley» war ein Jurist.

Auf der linken Seite stehen die bereits erörterten Eigennamen. Auf der rechten Seite steht aber kein weiterer Eigenname, mit dem der Name auf der linken Seite identisch gesetzt wird, sondern einBegriff, unter den der Gegenstand oder die Person fällt, der oder die vom Namen bezeichnet wird.

Der Begriff ist schon äußerlich daran zu erkennen, dass er den unbestimmten Artikel bei sich führt. Dieser unbestimmte Artikel weist in formaler Hinsicht darauf hin, dass das, was unter einen Begriff fällt, in der Regel kein singulärer Fall, sondern einer von mehreren Fällen ist. Der Morgenstern (Venus) istein Planet, nichtder Planet. Walter Scott warein Jurist, nichtder Jurist.

Das «ist», das einen Namen mit einem Begriff verbindet, bezeichnet deshalb keine Identität – wie das «ist» zwischen zwei Namen. Vielmehr bezeichnet das «ist» hier eine Subsumption. Der Satz «Die Venus ist ein Planet» sagt aus, dass die Venus zu den Planeten zählt: Das, was den Namen «Venus» trägt, fällt unter den Begriff des Planeten. Die beiden Ausdrücke, die links und rechts vom «ist» stehen, stehen also nicht wie zwei Namen gleichwertig auf einer Ebene, sondern die durch Namen bezeichneten Gegenstände fallenunter einen Begriff. Das «ist» zeigt nicht länger eine Symmetrie, sondern eine Asymmetrie an: ein logisches Gefälle, das sich konkret als eine Subsumption oder Unterordnung fassen lässt.

Betrachten wir weitere konkrete Beispiele:

Der Merkur ist ein Planet.

Die Venus ist ein Planet.

Die Erde ist ein Planet.

Der Mars ist ein Planet.

Der Jupiter ist ein Planet.

Erneut stehen auf der linken Seite verschiedene, durch Eigennamen bezeichnete Gegenstände. Von diesen unterschiedlichen Gegenständen wird aber durch den Begriff auf der rechten Seite eine Gemeinsamkeit hervorgehoben: Sie fallenalle unter den Begriff des Planeten. Die Namen betonen die Unterschiede und die jeweilige Einzelheit der besonderen Gegenstände, der Begriff betont ihre Gleichheit, indem er von den Besonderheiten abstrahiert und die Allgemeinheit einer gemeinsamen Eigenschaft sichtbar macht.[4]

...