Prolog I
1879–1918
Der Nachthimmel zeigte sich im Herbst 1879 in finsterem Schwarz, ohne Mond und Sterne. Einzig die abgedeckte Decksbeleuchtung beim Steuermann ließ die Konturen der Handelsfregatte rund ums Kartenhaus schemenhaft erkennen. Breitbeinig, die stampfenden Bewegungen des Schiffs ausgleichend, stand der 29-jährige erste Offizier, Luc Gabriel, auf dem Achterdeck und lauschte dem Meeresrauschen. Der Wind knarrte in den Masten und Spieren. Den Blick nach Südwesten gerichtet, beobachtete er das bedrohliche Wetterleuchten. Die Nase im stetig wehenden Nordostpassat, der die Segel füllte, spürte er die rasante Fahrt des Schiffs. Seine Stimmung war schlecht und Sorgenfalten zeigten sich auf seinem Gesicht. Nicht das Wetterleuchten oder die pechschwarze Nacht bereitete ihm Unruhe. Als Mitglied einer jahrhundertealten Seefahrerdynastie war er den harten Elementen der See gewachsen. Vielmehr machte ihn die Route, die sie auf dem Weg nach Durban durchkreuzen mussten, unruhig. Der Kapitän hatte entschieden, die Straße von Mosambik zu meiden und stattdessen der Ostseite von Madagaskar zu folgen. Luc konnte diese Entscheidung nicht nachvollziehen. Sainte Marie, die von Gerüchten und abenteuerlichen Schauermärchen umrankte Pirateninsel an der Ostseite von Madagaskar, war gefährlich. Von der Handelsgesellschaft, für die sie segelten, waren sie ausdrücklich davor gewarnt worden. Der Kapitän hatte den Kurs festgelegt, war in seine Kabine zurückgekehrt und hatte es dem ersten Offizier überlassen, eine sichere Durchfahrt zu gewährleisten. Luc hätte das Unwetter direkt durchsegeln wollen, auf einem für ihn weniger gefährlichen Weg. Aber Befehl war Befehl! Er konnte und wollte sich nicht widersetzen, nicht vor der Mannschaft. Seine Karriere und sein Ruf als ergebener Offizier hingen davon ab. Luc träumte davon, selbst Kapitän eines Handelsschiffs zu werden, und da war Befehlsverweigerung keine Option.
Seufzend begab sich Luc zu einer weiteren Runde an Deck. Das Achterdeck wurde zuerst abgeschritten, dann setzte er seinen Weg steuerbordseitig fort. Er überprüfte die Segelstellung, kommunizierte mittschiffs mit dem Matrosen im Topp und stellte so sicher, dass dieser weiterhin wachsam nach Schiffen Ausschau hielt und jegliche Entdeckungen sofort meldete. Schließlich erreichte er den Bug, wo er eine Weile verweilte. Trübsinnig und in Gedanken versunken, setzte Luc seinen Rundgang zurück zum Kartenhaus auf der backbordseitigen Route fort. Seine Stimmung und eine unheilvolle Vorahnung begleiteten ihn weiter. Am Kartenhaus angekommen, bestätigte er den vorgegebenen Kurs beim Steuermann und entschied sich, einen zusätzlichen Ausguck im Bug zu postieren, um mögliche Kontakte zu anderen Schiffen frühzeitig zu erkennen. Die Stunden seiner Wache verstrichen ohne nennenswerte