2.
Ausstieg aus dem ZDF
Entscheidung
Tränen laufen über mein Gesicht, tropfen von meinem Kinn auf die Unterlagen vor mir. Ich sitze vor dem Schreibtisch meines Chefs und spüre eine unangenehme Spannung. Unerwartet bin ich in die Enge geraten, an diesem 23. Februar 2016 im ZDF – an einem Morgen, der alles verändert.
Mein Chef hat eine Besprechung über Moderationstexte ohne Vorwarnung einen Tag vorgezogen, auf »sofort«. Ich habe nicht zum ersten Mal wie auf Knopfdruck alles stehen und liegen lassen, als er mich ad hoc in sein Büro zitiert. Aber dieses Mal fühlt es sich anders an.
Gleich zu Beginn des Gespräches stellt mein Chef mir Fragen, mit denen ich nicht gerechnet habe: »Frau Morgenthaler, ist etwas Schlimmes bei Ihnen privat passiert? Ist jemand krank oder gestorben? Ich mache mir Sorgen um Sie.«
Ich ringe um meine Fassung und verneine.
Mein Chef fügt hinzu, dass er sich nur auf diese Weise den schwerwiegenden Fehler erklären könne, den ich begangen hätte.
Mir bleibt die Luft weg. Für mich ist das der absolute Tiefpunkt meiner bis dahin 16-jährigen Fernsehkarriere. Größer könnten die Abwertung meiner Fähigkeiten und die Geringschätzung meiner Person kaum sein.
In diesem Moment verschiebt sich alles in mir. Es ist ein Punkt erreicht, an dem mir mein angesehener Job beim Fernsehen auf einmal nicht mehr so wichtig ist. Plötzlich ist mir jemand anderes wichtiger: ich! Wie ein Geistesblitz durchzuckt mich meine Intuition: »Lass dich nicht so behandeln. Steh zu dir selbst!« Meine innere Stimme spricht so laut zu mir, dass ich sie nicht überhören kann.
Ich trete aus meiner Opferrolle heraus und mache aus dem Tiefpunkt meiner Karriere im Handumdrehen einen Wendepunkt, der mir damals noch nicht bewusst ist. Es ist wie so oft im Leben – in den schwierigsten Momenten entfalten wir unsere größte Stärke.
Höflich, aber bestimmt widerspreche ich meinem Chef: »Ich glaube nicht, dass mir ein schwerwiegender Fehler unterlaufen ist. Ja, mir ist ein Fehler passiert, dazu stehe ich, das tut mir leid. Aber es ist ein kleiner Formfehler, der leicht korrigiert werden kann und keine gravierenden Folgen hat.«
Es geht um die Themen in einer Moderation, die erst eine Woche später aufgezeichnet wird. Im Intro, der 30-sekündigen Ankündigung der Beiträge zu Beginn der Sendung, hatte ich auf dem Papier die Reihenfolge vertauscht. Wie gewohnt hatte ich zuerst Beitrag eins, danach Beitrag zwei und dann Beitrag drei angekündigt, was wir bis dato immer so gehandhabt hatten. Die Anweisung meines Vorgesetzten in einer Sitzung ein paar Tage zuvor lautete jedoch, die Beiträge ab sofort in der Reihenfolge drei, zwei, eins anzukündigen.
Auf meinen Einwand reagiert mein Chef verständnislos. Er wirkt nicht gerade erfreut darüber, zumal ich seit Monaten um mehr Verantwortung bei der Ausübung meiner Aufgaben gebeten habe, die er stets eng kontrolliert. »Sie wagen es, mir zu widersprechen?«, fragt er und fügt hinzu, dass ich die Einzige in der Redaktion sei, der seine Kontrollen zu streng seien.
Meine Realität ist eine andere: Ich bin mir sicher, dass ich nicht die Einzige bin, die seinen Führungsstil als zu kontrollierend empfindet. Ich bin lediglich eine von wenigen, die dieses Thema vor einiger Zeit bei ihm angesprochen hat.
Nach einem unangenehmen, aber offenen Gespräch über Verantwortung und Kontrolle widmen wir uns schließlich dem eigentlichen Grund unseres Treffens: den Moderationstexten, die mein Chef wie üblich komplett umgeschrieben hat. Mehrere grammatikalische Fehler, die ihm dabei im Text unterlaufen sind, spreche ich in diesem Moment nicht an. Mir ist nicht danach, die Situation weiter zu verschärfen.
Wie jede unangenehme Lage im Leben geht auch diese Besprechung vorbei. Ich verlasse das Zimmer. Den Drang nach frischer Luft verspürend, schleiche ich mich an den Büros meiner Kolleginnen und Kollegen vorbei zum nahegelegenen Ententeich auf dem ZDF-Gelände. Natur hat mir schon immer gutgetan, um durchzuatmen, Abstand zu gewinnen und einen klaren Kopf zu bekommen.
Draußen weicht meine Fassungslosigkeit einer Wut, die sich langsam in eine Klarheit wandelt, wie ich sie selten zuvor erlebt habe. Ich treffe eine unwiderrufliche Entscheidung: Ich werde meine berufliche Situation verändern! Unter keinen Umständen lasse ich mich weiterhin derart abwerten. Weder von meinem Chef noch von einem anderen Menschen.
Und noch etwas wird mir in diesem Augenblick bewusst: Es liegt an mir, eine Veränderung herbeizuführen,