I
Fünf war ich, und ich konnte schon lesen, als ich in mein Tretauto kletterte, die Haustür hinter mir zuzog (unter Mithilfe eines kräftigen Luftzugs) und in den Sommerabend verschwand. Meine Reise um die Welt war nach drei Stunden beendet. Ein Polizist kriegte mich an der 113. Straße am Schlaffitchen. Auf die Frage nach meinem Ziel antwortete ich mit einer Schlagfertigkeit, die ich inzwischen verlernt habe: »Zur Tankstelle! Kein Benzin mehr!«
Als ich mit Blaulicht nach Hause gebracht wurde, gab mir Vater Sol eine Ohrfeige und Mama Miriam, für die ich immer Sonny war, einen Riegel3Musketiers. Ich war dreckig von oben bis unten. Mama seifte mich ein, umringt von meiner Flotte an Galeonen, die ich unter die Wasseroberfläche drückte und von der nur noch die Masten aus den Schaumkronen ragten.
Vater Sol drohte damit, mir eine Hundemarke mit meinem Namen um den Hals zu hängen.
Ich wollte immer von zu Hause weglaufen, wenn Doris, meine Schwester, mich schikanierte. Auch das eine Mal, als sie mich mit mehr Löchern in ihren Schuhen verblüffte. Sie prahlte damit, dass ihre Schnürsenkel länger seien als meine.
In solchen Momenten schmiedete ich Pläne für eine Weltreise, am liebsten in einem dieser riesigen Greyhound-Busse, auf der Suche nach einer Schwester, die mich besser abkonnte, und einem Vater, der sich allein schon deshalb glücklich schätzte, weil er mich großziehen durfte.
Wütend packte ich meine Zinnsoldaten in eine Kiste und stürmte in meiner Indianerkleidung nach draußen, der Federschmuck flatterte mir auf dem Kopf. Aber aus Angst vor der eigenen Courage blieb ich auf dem Bürgersteig stehen und wartete, bis Mama Miriam kam. Einen Kuss konnte ich mir gerade noch abringen, bevor ich ihr mit meinem Plastikkriegsbeil zum unwiderruflichen Abschied winkte, für immer weg von Manhattan. Aber meine Zweifel wuchsen mit jedem Winken. Was sollte Weglaufen für einen Sinn haben bei einer Mutter, die das Gehör und den Geruchssinn eines Jagdhundes hatte? Außerdem liebte ich sie, seit ich geboren worden war und sie über meiner Wiege andauernd kindische Worte brabbelte, als müsste nicht ich, sondern sie sprechen lernen.
Ich will kein böses Wort über sie hören. Man sagt zwar, dass Menschen mit rotem Haar jähzornig sind, aber ich habe Mama Miriam nie wütend erlebt. Und trotzdem hat sie das röteste Haar von allen.
Sie sehen, ich schweife ab.
Ich bin J. D. Salinger. Ich wurde am 1. Januar 1919 in New York geboren. Ich bin Amerikaner, fünfundzwanzig Jahre alt. Sol, mein Vater, ist ein Abkömmling des jüdischen Familienzweigs aus dem tiefen Nordosten Europas, aber mit einer Kippa habe ich ihn nie gesehen. Mama Miriam lernte er in Iowa kennen.
Mama Miriam hat mir mal erzählt, dass sie im Frühjahr 1918 träumte, sie wäre mit einer Flamme schwanger, aber das war wegen mir, ich war das Geschwabbel, das in ihr herumwabbelte.
Meine Schwester also heißt Doris. Ich stellte mir gerne vor, dass sie meine jüngere Schwester wäre. In Wirklichkeit ist sie sechs Jahre älter. Ich habe einen ganzen Sack voll Schwestern und Brüder, die kurz nach der Geburt gestorben sind. Schon als Kind habe ich sie mir zusammenfantasiert, ich ließ sie in Geschichten auftreten, die ich vor keinem anderen Publikum laut erzählt habe als den Königen, Damen und Buben auf den Spielkarten von Vater Sol, mit einer Vorliebe für Schwarz, vielleicht weil es die Farbe der Steinkohle ist, des Stoffes, in dem das Feuer noch die Kälte des Kellers hat.
Später, um mir das Leben in den Internaten erträglicher zu machen, schrieb ich kurze Geschichten. Aber das war kein Grund, dort zu bleiben. Ich bin immer abgehauen.
Erst kürzlich habe ich ein paar Storys in verschiedenen Slicks veröffentlicht. So heißen diese ziemlich bescheuert aussehenden Magazine mit stupide wirkenden, tief dekolletierten Frauen, die sich da zwischen viel scheinheiliger Werbung aufmandeln. Aber dieses Hochglanzpapier passt nicht zu meinen Helden aus Schmirgelpapier. Die hängen lieber in Wirtschaften rum, die Blutverdünner, Tripper und Vorhaut heißen.
Ich habe verschiedene Militäranstalten in der Hoffnung durchlaufen, dort ohne Kopfzerbrechen schreiben zu können. Das ha