Kapitel 1
Uniklinik Frankfurt/Main
Die offene Tür der Krankenhausapotheke war eine Einladung. Heidi, die Apothekerin, stand draußen auf dem Flur und nippte an einer Tasse mit der AufschriftDrogenkurier.
Drinnen lief das Radio. „Leute, es ist 11.25 Uhr. Wenn der Regen vorbei ist, kommt heute noch die Sonne. Doch ist ein Sommerregen nicht wunderbar? Joris nimmt euch an die Hand. Tanzt alle in seinem Sommerregen. RadioCitylights ist bei euch. Und auch euer Andi.“ Ein Glockenspiel, der Bass und dann folgte die Stimme des Sängers.
Donnerstags um 11.30 Uhr war Visite auf Station 7a. Auf der Gastroenterologie mit den Magen-Darm-Erkrankungen gab es seit vier Wochen einen neuen Stationsarzt. Heidi fuhr auf diesen Dr. Wohlfarth ab. Das wusste hier mittlerweile jeder. Milan musste in die Krankenhausapotheke rein. Heidi war weit genug entfernt, sie sah ihn nicht.
Da öffnete sich die Tür zum Gang. Wohlfarth betrat die Station genau im richtigen Moment. Milan schlüpfte durch die angelehnte Tür in die Apotheke.
Auf dem Schreibtisch stand Heidis Computer, der Bildschirmschoner zeigte ein Lavendelfeld im Abendrot. Der Schrank für die Betäubungsmittel war immer abgeschlossen, aber da lag der Schlüssel gut sichtbar neben einem Fläschchen mit rotem Nagellack. Chanel, Rouge Puissant.
Daneben sah er die Inventarliste mit allen Medikamenten Abgängen. Milan überflog die letzten Einträge auf der Liste: Station 4b, drei Ampullen Fentanyl, ein starkes Schmerzmittel, darunter hatte die Anästhesieabteilung Forene und Suprane für ihre Arbeit im OP erhalten.
Heidi hatte die Angewohnheit, sich alles in einem kleinen Notizbuch mit Bleistift zu notieren. Sie erwähnte immer, wie vergesslich sie war.
Milan nahm eine große Flasche mit blauer Lösung zur Händedesinfektion aus dem hohen Stahlregal. Ein Alibi, für den Fall, dass ihn jemand erwischte. Die Lösung war immer Mangelware auf Station. In das Notizbuch trug er später noch die Abgänge ein. Heidis Schrift konnte er mittlerweile gut fälschen. Er drehte den Kopf zur halb geöffneten Jalousie des Fensters zum Flur. Die Lamellen klackten metallisch. Er trat einen Schritt näher an die Jalousie und unterdrückte den Impuls, die Staubflusen wegzupusten.
Heidi trug heute hohe Absätze, Gift für ihr problematisches Sprunggelenk. Nachher würde sie ihn wieder fragen, ob er ihr ein Kinesiotape über die schmerzenden Knöchel kleben könnte. Es war immer dasselbe mit ihr: Donnerstag Visite von Dr. Wohlfarth und sie trug dazu natürlich High Heels. Später würden sie zusammen darüber lachen und dann würde Milan ihr Sprunggelenk tapen. Bei Heidi durfte das Tape gern etwas auffälliger, etwas bunter sein, und auf gar keinen Fall durfte er bei ihr dieses Oma-Beige benutzen. Das erinnerte sie an Stützstrümpfe.