: Rainer Güllich
: Töchtertod - Ein Marburg-Krimi
: Novo Books
: 9783961274284
: Tatzeit
: 1
: CHF 1.80
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: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 101
: kein Kopierschutz/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF/ePUB
Die junge Sophie wird erwürgt im Wald aufgefunden. Ist der einschlägig vorbestradte Nachbar oder ein Schulkamerad, der bei ihr 'abblitzte', der Täter? Oder hat etwa eines der Mitglieder der Jugendbande, der Sophie angehörte, etwas mit Ihrem Tod zu tun. Als auf ein weiteres Mädchen ein Mordversuch stattfindet, geraten die ermittelnden Kommissare unter Druck. Ist ein Serienmörder am Werk?
Eugen Müller wusste nicht, dass ihm die größte Überraschung seines Lebens bevorstand, als er sich seine Laufschuhe anzog, um wie jeden Vormittag im Wald oberhalb des Stadtteils Cappel zu joggen. Er verließ das Haus und lief die Straße zum Waldstück hinauf. Den mit grobem Splitt befestigten Waldweg konnte man bei jeder Witterung passieren. Selbst bei Starkregen war er gangbar. Es war Mitte Juni und es war für die Uhrzeit recht heiß. Hier im Wald war es jedoch schattig und kühl. Man sah aber, dass die Pflanzenwelt unter der für diese Jahreszeit erstaunlichen Hitze, gelitten hatte. Die Blätter hingen schlaff von den Ästen herab. Kaum dass er tiefer in den Wald hineingekommen war, sah er aus den Augenwinkeln rechts zwischen den Bäumen ein Bündel liegen. Das musste Eugen sich näher ansehen. Vorsichtig ging er den Hang hinunter, bis er bei dem Bündel angekommen war. Beim Nähertreten sah er, dass es sich um einen menschlichen Körper handelte. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Er beugte sich etwas vor, um den Körper genauer betrachten zu können. Es war ein junges Mädchen mit langen, blonden Haaren. »Hallo«, sagte er. »Was ist mit Ihnen?« Er stupste den Körper mit dem Zeigefinger an. Nichts passierte. Er nahm all seinen Mut zusammen und schüttelte an dem Körper. Das Mädchen rührte sich nicht. Es war kein Atmen zu vernehmen, als er ihr an die Halsschlagader griff, war dort kein Pochen zu verspüren. Das Mädchen war zweifellos tot. Er holte sein Smartphone aus der Hosentasche und wählte die Nummer des Polizeinotrufs. *** Hauptkommissar Mathiessen hatte sich gerade entspannt in seinem Bürostuhl zurückgelehnt, als das Telefon läutete. Er strich sich durch seine dünnen Haare, meldete sich mit seinem Namen und Dienstgrad und hörte zu. Dann legte er auf, wendete sich zu seinem Kollegen Oberkommissar Kemper um, der sich mit ihm das Büro teilte und sagte: »Im Cappeler Forst, oberhalb der Postfiliale, hat man die Leiche einer jungen Frau entdeckt. Da müssen wir hin. Ist ja gerade um die Ecke. Wir müssen aber vorher noch beim Kollegen Windeck vorbei. Der hat da was für uns, was eventuell den Fall betrifft.« Kemper sagte: »Dann nichts wie los. Wäre ein Wunder gewesen, wenn wir weiterhin nichts zu tun gehabt hätten.« Sie waren tatsächlich, was eine Seltenheit war , momentan mit keinem aktuellen Fall befasst. Die letzten Tage erledigten sie nur Schreibtischarbeit, was aber sein Gutes hatte, da einiges aufzuarbeiten war. Zwei Türen weiter begrüßte der Kollege Windeck die beiden Beamten mit einem tönenden »Guten Morgen«. Der Kollege war nicht in der Lage seine Stimme irgendeiner Situation gemessen anzupassen, er war immer laut, überlaut. Er zog eine Schreibtischschublade auf, holte einen Fotoabzug hervor und reichte ihn Mathiessen. »Das ist ein Foto von Sophie Bosch, einer fünfzehnjährigen Schülerin, die seit gestern Nachmittag vermisst wird. Die Eltern haben ihr Verschwinden gestern Abend gemeldet. Sie hatten dieses Foto dabei gehabt. Da die gefundene Leiche ein junges Mädchen ist, wäre es sinnvoll sie mit dem Foto zu vergleichen.« Mathiessen nickte ernst und steckte das hingehaltene Foto in die Innentasche seiner Jacke. * Die Polizeidirektion Marburg-Biedenkopf lag nur drei Autominuten vom Waldstück entfernt, in dem sich der Tatort befand. In Tatortnähe mussten Mathiessen und Kemper am Straßenrand parken, da zum Tatort nur ein Waldweg führte. An der Straße standen zwei Streifenwagen und ein Kleinbus der Kriminaltechnik. Die Leute der KTU waren, wie so oft, als Erste am Tatort. Immerhin bekamen die Kommissare so erste Erkenntnisse an die Hand. Die beiden Kriminalbeamten mussten etwa noch drei Minuten gehen, bis sie den Tatort erreichten. Mathiessen geriet etwas außer Puste, er versuchte zwar seit einiger Zeit abzunehmen, es war ihm aber nicht gelungen. Mit seinen sechsundvierzig Jahren hätte er fitter sein müssen. Sein Kollege Kemper war ihm einige Schritte voraus. Ja, der war auch zehn Jahre jünger, dachte Mathiessen. Und schlanker. Im Gelände waren einige Leute der Kriminaltechnik in ihren Schutzanzügen zugegen und inspizierten den Tatort. Die Leiche lag an einem Abhang. Einige Meter neben ihr lag eine Schultasche und eine Gitarrenhülle. Als sich Mathiessen und Kemper zur Leiche begaben, kamen sie an einem Mann mittleren Alters vorbei. Er sprach mit einem uniformierten Polizisten. Es war zu vermuten, dass es der Finder der Toten war. Das Mädchen lag auf der Seite. Die blonden Haare standen ihr wirr um den Kopf. Leuner von der Kriminaltechnik, der die beiden Beamten kurz grüßte, sagte: »Sie scheint erwürgt worden zu sein. Kein schöner Anblick. So ein junger Mensch.« Er zuckte bedauernd mit den Schultern. Mathiessen zog das Foto aus seiner Jackentasche, beugte sich herunter und verglich es mit dem Opfer. Er nickte. »Das ist sie. Es ist das vermisste Mädchen.« Seine Stimme veränderte sich. Es schien als sei sie plötzlich schwächer geworden. Der Anblick des toten Mädchens schien dem Hauptkommissar sehr zuzusetzen. Kemper wusste, was die Ursache war. Denn Mathiessens Tochter war vor sechs Jahren in ähnlichem Zustand aufgefunden worden. Erschlagen! Sie war nur nicht in einem Wald gefunden worden, sondern auf einen abgeernteten Weizenfeld. Und nun traf der Hauptkommissar auf das gleiche Bild: Ein junges Mädchen tot auf dem Boden liegend. Musste er nicht seine Tochter vor Augen haben? Wie musste er sich fühlen? Mathiessen richtete sich auf, es schien, als habe er sich einen Ruck gegeben. »Lass uns gehen. Ich habe genug gesehen. Die Leute von der KTU machen ihre Arbeit schon.« Als hätte jemals jemand daran gezweifelt. »Wir werden aber noch mit dem Finder der Leiche reden. Nur kurz.« Kemper nickte bestätigend. Als sie den Hang hinaufgingen, hielten sie bei dem Polizisten und dem Zeugen an. »Mein Name ist Mathiessen. Ich bin der Chefermittler. Ich würde gern kurz mit Ihnen reden. Sie sind?« Er sah dem stämmigen Mann in die Augen. »Ich heiße Eugen Müller. Ich wollte wie jeden Tag meine Joggingrunde machen. Und dann habe ich rechts von mir was zwischen den Bäumen liegen sehen. Ich bin dann hin und sah, dass es eine Leiche war. Schrecklich.« Er schüttelte seinen Kopf hin und her. »Ist Ihnen jemand begegnet oder haben Sie jemand weglaufen sehen? Hörten Sie etwas Ungewöhnliches?« Der Mann schüttelte verneinend den Kopf. »Nein, Nichts. Nichts gehört und niemanden gesehen. Mir ist kein Mensch begegnet. Das ist um diese Zeit oft so. Manchmal meine ich, der Wald gehört mir allein.« Er lachte, stellte sein Lachen aber bestürzt sofort wieder ein. »Danke«, sagte Mathiessen. »Das war es auch schon.« Kemper und er gingen den Hang bis zum Ende hinauf und marschierten dann in Richtung des geparkten Dienstwagens. *** Mathiessen hing seinen Gedanken nach. Der Anblick der Toten hatte ihn getroffen. Er erinnerte ihn an den Tod seiner Tochter, deren Anblick ihn bis ins Mark erschütterte. So völlig unvorbereitet mit ihrem toten Körper konfrontiert zu werden, fühlte sich an, als ob ihm jemand ein Messer ins Herz gestoßen hätte. Er vermisste damals seine Tochter nicht. Er dachte, sie sei in der Schule. Sie verabschiedete sich zwei Tage vorher abends von seiner Frau und ihm. Sagte, dass sie sich mit ihrer besten Freundin Martina verabredet hätte und bei ihr schlafen würde. Das war aber nicht der Fall gewesen. Sie hatte sich mit einem Jungen, der in die Schulklasse über ihr ging, verabredet. Dessen Eltern waren in Urlaub und er hatte sturmfreie Bude gehabt. Er stellte sich als der Täter heraus. Wie er nach seiner Verhaftung und Vernehmung aussagte, kifften Birgit und er, hörten Musik und tranken Alkohol. Als er dann mit Birgit schlafen wollte, habe sie sich verweigert. Er versuchte sie mit Gewalt zu nehmen, sie wehrte sich, er schlug ihr dann mit einem schweren Glasaschenbecher so über den Schädel, dass sie zusammenbrach. In der Annahme, dass sie tot sei, legte er sie dann, es war schon Nacht, in eine Schubkarre aus der Remise seiner Eltern und fuhr sie auf ein in der Nähe gelegenes Getreidefeld. Wie in der Rechtsmedizin festgestellt wurde, musste Birgit da aber noch gelebt haben. Nach der Untersuchung war sie erst in den Morgenstunden gestorben. Der Fall war schnell gelöst worden, weil sich der Schüler zwei Tage nach der Tat der Polizei stellte. Hätte er nicht in Panik gehandelt und hätte einen Rettungswagen gerufen, könnte Mathiessens Tochter noch leben. Aber genau dieser tragische Tod seiner Tochter hatte Mathiessen zu schaffen gemacht. Er war davon überzeugt, er hätte den Tod seiner Tochter besser ertragen, wenn sie sofort tot gewesen wäre. Als Kemper den Wagen starten wollte, sagte Mathiessen: »Warte einen Moment, ich will erst noch mit der Direktion telefonieren.« Kemper nickte. Mathiessen nahm Kontakt zu Windeck auf, erkundigte sich nach der Adresse der Eltern von Sophie Bosch. Sie wohnten im Lichtenholz, also hier im Stadtteil, sogar direkt in Nähe des Polizeidirektion. Mathiessen überlegte. Dann sagte er: »Ich denke, das wird eine schwere Sache für die Eltern. Wir fahren gleich dorthin. Die Mutter wird vielleicht zu Hause sein. Ich hätte aber gern einen Seelsorger dabei. Wäre vielleicht hilfreich. Wir fahren erst bei dem Pfarrer hier in Cappel vorbei. Er soll uns begleiten. Vielleicht kennt er die Familie sogar.« Kemper