I
DAS PORTRÄT DER MUTTER hing im Esszimmer: eine sitzende Frau mit einem Federhut und einem langen, müden und verängstigten Gesicht. Sie war immer von schwacher Gesundheit gewesen, litt unter Schwindel und Herzklopfen, und vier Kinder waren zu viel für sie. Kurz nach Annas Geburt war sie gestorben.
Manchmal gingen Anna, Giustino und Signora Maria am Sonntag auf den Friedhof. Concettina nicht, sie setzte am Sonntag nie einen Fuß vor die Tür, sie konnte den Sonntag nicht ausstehen und schloss sich in ihr Zimmer ein, um ihre Strümpfe zu stopfen, und trug dabei ihr hässlichstes Kleid. Und Ippolito musste dem Vater Gesellschaft leisten. Auf dem Friedhof betete Signora Maria, die beiden Kinder jedoch nicht, weil der Vater immer sagte, Beten sei etwas Dummes: Vielleicht gebe es Gott, aber es sei nicht nötig zu beten, da er Gott sei und ohnehin wisse, wie die Dinge stehen.
Als die Mutter noch nicht tot war, lebte Signora Maria nicht bei ihnen, sondern bei der Großmutter, der Mutter ihres Vaters, und die beiden verreisten zusammen. Auf Signora Marias Koffern klebten viele Hoteletiketten, und in ihrem Schrank hing ein Kleid mit Knöpfen in Form kleiner Tännchen, das sie in Tirol gekauft hatte. Reisen war die Leidenschaft der Großmutter: Sie hatte es nie aufgeben wollen und ihr ganzes Vermögen damit durchgebracht, weil sie gern in eleganten Hotels abstieg. In der letzten Zeit vor ihrem Tod war sie oft schlecht gelaunt, erzählte Signora Maria, weil sie sich nicht damit abfinden wollte, dass sie kein Geld mehr hatte, und sich nicht erklären konnte, warum; und manchmal vergaß sie es und wollte sich einen Hut kaufen, und Signora Maria musste sie vom Schaufenster wegziehen, während sie mit dem Schirm auf den Boden klopfte und vor Wut in ihr Schleierchen biss. Nun lag sie in Nizza begraben, dort, wo sie gestorben war und wo sie sich in ihrer Jugend, als sie noch munter, schön und reich war, so gut amüsiert hatte.
Signora Maria erzählte sehr gern von dem vielen Geld, das die Großmutter besessen hatte, und prahlte mit den schönen Reisen, die sie gemacht hatten. Signora Maria war sehr klein, und wenn sie saß, berührten ihre Füße den Boden nicht. Deshalb hüllte sie sich in eine Decke, wenn sie saß, denn sie wollte nicht zeigen, dass ihre Füße nicht bis zum Boden reichten. Die Decke war dieselbe, die sie und die Großmutter sich vor zwanzig Jahren über die Knie breiteten, wenn sie in der Kutsche durch die Stadt fuhren. Signora Maria legte ein bisschen Rouge auf ihre Wangen, denn sie mochte es nicht, wenn man sie früh am Morgen sah, bevor sie das Rouge aufgelegt hatte, und so schlich sie ganz leise und gebeugt ins Badezimmer und fuhr zusammen und wurde sehr böse, wenn jemand sie im Flur aufhielt, um etwas zu fragen. Im Badezimmer blieb sie immer ziemlich lange, so dass alle an die Türe klopften, und dann rief sie, sie habe es satt, in einem Haus zu leben, wo niemand sie respektiere, und sie werde sofort die Koffer packen und nach Genua zu ihrer Schwester fahren. Zwei- oder dreimal hatte sie die Koffer unter dem Schrank hervorgezogen und angefangen, ihre Schuhe in Stoffbeutelchen zu stecken. Man musste so tun, als habe man nichts bemerkt, dann nahm sie nach einiger Zeit die Schuhe wieder heraus. Übrigens wussten alle, dass die Schwester in Genua sie nicht bei sich haben wollte.
Signora Maria kam fertig angezogen, den Hut auf dem Kopf, aus dem Badezimmer, lief mit einem Schäufelchen auf die Straße und sammelte rasch etwas Mist, um die Rosen zu düngen, und passte auf, dass niemand sie sah. Dann ging sie mit dem Netz zum Einkaufen und brachte es fertig, die Stadt mit ihren flinken kleinen Füßchen in den schleifengeschmückten Schuhen in ei