: Jokha Alharthi
: Herrinnen des Mondes
: Dörlemann eBook
: 9783038208846
: 1
: CHF 14.60
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 336
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das Dorf al-Awafi in Oman ist die Heimat dreier Schwestern: Mayya, die mit gebrochenem Herzen die Ehe mit Abdallah eingeht, Sohn des wohlhabenden Kaufmanns Sulayman. Asma, die aus Pflichtgefühl Khalid heiratet, einen selbstverliebten Künstler. Und Khawla, die alle Anträge ablehnt, während sie auf ihren Geliebten wartet, der nach Kanada ausgewandert ist und nur alle zwei Jahre zurückkehrt. Drei Frauen, drei Blickwinkel auf Oman und eine traditionelle Gesellschaft, die sich nach der Kolonialzeit zwischen Tradition und Moderne neu definieren muss - wie die Frauen auch. Und dann ist da noch die rätselhafte, betörende Zarifa, die als Sklavin nach Oman kam, von Sulayman gekauft und seine große Liebe wurde. Herrinnen des Mondes erzählt vielstimmig über das Leben, Lieben und die Träume von Frauen in einer traditionell patriarchalischen islamischen Gesellschaft.

Ihre Begabung wurde Jokha Alharthi, geboren 1978, in die Wiege gelegt, denn in ihrer Familie gibt es eine Reihe von Dichtern. Ihr Roman Herrinnen des Mondes war auch eine Art Heimweharbeit, fing sie doch während ihres Studiums der klassischen arabischen Literatur an der Universität von Edinburgh an, daran zu schreiben. Das regnerisch-kühle Wetter wird eine Rolle gespielt haben. Jokha Alharthi schreibt Romane, Erzählungen und Kinderbücher, hat aber auch eine akademische Karriere absolviert. Heute unterrichtet sie als Associate Professor am College of Arts and Social Sciences der Sultan Qaboos University in Maskat, der Hauptstadt Omans.

1Mayya, oder: Die Nähmaschine


Mayya, völlig vertieft in ihre schwarze Nähmaschine der Marke al-Farrascha, war vertieft in die Liebe.

 

*

 

Es war eine stumme Liebe, die dennoch ihren schmalen Körper Nacht um Nacht mit Wellen aus Tränen und Seufzern durchfuhr. Immer wieder überkam Mayya das Gefühl, erdrückt zu werden von der Last ihrer Lust, ihn wiederzusehen. Während sie sich beim Morgengebet tief zum Boden beugte, murmelte sie Schwüre wie diesen:

»Allmächtiger Gott, mein Herr, ich schwöre dir, dass ich nichts von ihm will! Nur anschauen will ich ihn! Herr Gott, Allmächtiger, er muss sich nicht einmal zu mir umdrehen, ich will ihn nur sehen können …«

Ihre Mutter glaubte, die stille, bleiche Mayya dächte an nichts auf der Welt jenseits ihrer Fäden und Stoffe und hörte nichts außer dem Surren der Nähmaschine. Aber Mayya erlauschte jeden Laut ihrer Umgebung und nahm sämtliche Farben wahr. Dabei rührte sie sich den ganzen Tag und die halbe Nacht lang nicht von ihrer Holzbank bei der Maschine, ja sie hob kaum einmal den Kopf, und wenn sie es doch tat, dann nur, um zur Schere zu greifen oder eine der vielen Garnrollen aus dem kleinen Plastikkörbchen zu nehmen, das sie in ihrem Nähkasten verwahrte.

Mit schuldbewusster Zufriedenheit beobachtete Mayyas Mutter ihren viel zu geringen Appetit. Sie hoffte insgeheim, es käme der Mann, der Mayyas Talent als Schneiderin ebenso zu schätzen wüsste wie ihre Zurückhaltung beim Essen und der sie in einem festlichen Brautzug in sein Haus führen würde.

Und er kam.

Mayya saß wie üblich auf ihrer Holzbank hinter der Maschine am Ende des langen Korridors, als die Mutter mit strahlendem Gesicht auf sie zutrat und ihr die Hand auf die Schulter legte.

»Mayya, meine liebe Tochter!«, frohlockte sie. »Der Sohn des Händlers Suleiman will dich heiraten!«

Mayya zuckte zusammen. Schwer, viel zu schwer, lastete die Hand der Mutter auf ihrer Schulter. Sie fühlte ihre Kehle trocken werden und sah ihre Nähfäden vor sich, wie sie sich um ihren Hals schnürten, als wollten sie sie erdrosseln.

»Ich dachte, du wärst schon erwachsen.« Die Mutter lächelte. »Stattdessen bist du ja immer noch so schüchtern wie ein kleines Mädchen.«

Damit war das Thema erledigt. Niemand sprach mehr darüber. Die Mutter begann, die Kleider für das Hochzeitsfest bereit zu machen und den Weihrauch zu mischen. Sie polsterte die Sitzkissen aus und streute die freudige Nachricht unter die Verwandten. Mayyas Schwestern sagten nichts, und ihr Vater überließ die Angelegenheit der Mutter. Schließlich waren es ihre Töchter, und Heiraten war Frauensache.

 

*

 

Heimlich überging Mayya die üblichen Pflichtgebete.

»Lieber Gott«, flüsterte sie stattdessen, »ich habe dir doch geschworen, dass ich nichts will, außer ihn zu sehen! Ich habe dir auch geschworen, keinen Fehltritt zu begehen und meine Gefühle nicht zu offenbaren. Das alles habe ich dir unter heiligen Eiden versprochen! Wozu schickst du mir jetzt diesen Sohn von Suleiman ins Haus? Willst du mich für meine Liebe bestrafen? Ich habe doch keinem etwas verraten, nicht einmal meinen Schwestern! Warum hast du Suleimans Sohn in unser Haus geschickt? Warum?«

 

*

 

»Du willst uns also verlassen, Mayya?«, fragte Chaula.

Mayya schwieg.

»Hast du dich denn gut vorbereitet?«, wollte Asma wissen und setzte lachend hinzu: »Weißt du noch, welchen Ratschlag die Beduinin ihrer Tochter gegeben hat, als diese eine Braut wurde? Wir haben die Stelle imMustatraf entdeckt, in unserem Bücherschrank!«

»Das war nicht