Deine besondere Wahrnehmung& du
Hallo, darf ich mich vorstellen? Ich bin ein Fingertier, ein sogenanntes Aye-Aye, und ich heiße auch so: Aye-Aye. Schön, dass du da bist! (Natürlich können Aye-Ayes die Menschensprache gar nicht »in echt« sprechen. In diesem Buch aber schon.)
Wir Fingertiere sind nachtaktive Lemuren und sehen aus wie Eichhörnchen-Affen mit großen Ohren, gelben Augen, Biber-Zähnen, spinnenartigen Fingern und einem buschigen Schwanz. Ganz schön speziell, oder? Ich finde das fantastisch! Möchtest du noch mehr wissen?
Wir Aye-Ayes leben in den Regenwäldern Madagaskars und sind scheue Einzelgänger*innen. Mit vielen anderen eng auf einem Haufen? Nicht so unser Ding!
Wir sind ausgezeichnet an unseren Lebensraum im Wald angepasst: Wir können sehr geschickt klettern und wenn’s sein muss auch kopfunter die Bäume hinabgleiten. Hierfür hilft uns unser sechster (!) Finger: ein kleiner Zusatzdaumen, der perfekt ist fürs Klettern!
Das ist aber noch nicht alles: Unser Mittelfinger ist ein Spezialfinger, der viel länger ist als die anderen. Mit dem können wir spielend an das leckere Innere der Früchte des Ramy-Baumes, an Kokosmilch oder Insektenlarven gelangen.
In unserer vertrauten Umgebung sind wir absolute Expert*innen und fühlen uns sehr wohl. Aber stell dir vor, wir müssten umziehen und wären plötzlich in einer anderen Umgebung, in der wir tagsüber aktiv sein (Schnarch!) oder in einer Gruppe unsere Beute jagen müssten (Hilfe!). Das könnte ganz schön verwirrend und anstrengend für uns werden.▶ [2]
Ganz ähnlich ist das bei den Menschen. Autistische Menschen finden es manchmal schwierig, in einer neurotypisch geprägten Welt zu leben. Neurotypische Menschen würden es wahrscheinlich schwierig finden in einer autistisch geprägten Welt zu leben.
Aber mal der Reihe nach: Was ist das überhaupt – »autistisch« und »neurotypisch«?
Neurotypische und autistische Wahrnehmung
Wie du wahrscheinlich weißt, nehmen wir über unsere Sinne wahr: Augen, Ohren, Nase, Haut und Zunge leiten Informationen aus der Umgebung über Nervenzellen in unser Gehirn weiter. Zu diesen fünf Sinnen, gibt es auch noch die Wahrnehmung von Bewegung und Temperatur sowie deinen Gleichgewichtssinn, der dich zum Beispiel vor dem Umkippen schützt.
Im Gehirn wird die von den Sinnen hereinkommende Information verarbeitet. Die Art der Verarbeitung im Gehirn hat Einfluss darauf, wie du denkst und dich verhältst. Viele Eindrücke aus der Umgebung erleben Menschen wahrscheinlich ähnlich, da menschliche Nervensysteme und Gehirne weitgehend gleich aufgebaut sind. Es gibt aber feine Unterschiede.
Diese Unterschiede des Gehirns nennt man »Neurodiversität«. Der Begriff wurde von der australischen Wissenschaftlerin und Aktivistin Judy Singer geprägt und bekannt gemacht.▶ [3] Judy Singer ist selbst Autistin und kennt sich daher besonders gut aus. »Neuro« bedeutet »das Nervensystem/das Gehirn betreffend« und »Diversität« bedeutet »Vielfalt«. Neurodiversität bedeutet also, dass es Unterschiede in unserer jeweiligen Gehirnentwicklung gibt, die ganz natürlich sind. Und das ist gut so.
Wie entstehen die Unterschiede in der Wahrnehmung?
Die Unter