Warum ein neues Rückenbuch?
Bücher zum Thema Rückenschmerz, Muskelaufbau und körperliches Training gibt es viele. Sie alle haben ihre Daseinsberechtigung und setzen an einem oder mehreren Kernpunkten anerkannter Therapiemethoden an.
Doch dieses Buch gibt Ihnen darüber hinaus eine umfassende Basis. Durch mein zweites Standbein, die Reitlehrertätigkeit, bin ich vor einigen Jahren auf das spannende Thema »Neuroathletik« aufmerksam geworden. Je mehr ich mich damit beschäftigte, desto deutlicher verstand ich, dass Neurozentriertes Training der Ansatz ist, nach dem ich während meiner jahrzehntelangen Tätigkeit immer gesucht hatte. Die dort verwendeten Parameter lassen mich verstehen, warum die Techniken, die ich verwende, gut funktionieren.
Wir sind unser Gehirn!
Alles, was wir jemals in unserem Leben gedacht, gefühlt oder gemacht haben, hat unser Gehirn getan. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, bedeutet jede Veränderung des eigenen Zustands eine Umgestaltung im Nervensystem.
Alles, was wir tun und sind, entsteht aus Gehirnaktivität. Dagegen verschwinden die dafür notwendigen Funktionen, wenn wir etwas unterlassen. »Use it or lose it« ist ein in diesem Zusammenhang häufig benutzter Begriff. Das gilt für die Muskulatur genauso wie für Organ- oder Hirnfunktionen.
Da unser Körper sehr ökonomisch agiert, wird alles, was er nicht braucht, nach kurzer Zeit abgebaut. Beispielsweise würde es zu viel Energie kosten, ungenutztes Muskelgewebe in einem kräftigen Zustand zu lassen. Nur wenn es aktiv ist, wird es erhalten. Das gilt auch für Fähigkeiten, die wir einmal konnten. Wenn Sie als Kind Blockflöte oder Klavier gespielt haben, sind die dafür notwendigen Steuerungsprogramme in Ihrem Gehirn vorhanden. Sobald Sie aufhören, das Instrument zu spielen, stauben die Nervenbahnen, die diese Programme zum Leben erwecken, sinnbildlich ein. Wenn Sie beginnen, wieder zu musizieren, entstauben Sie diese Fähigkeiten. Beispielsweise machen Fingerübungen den Weg zu diesen Verbindungen frei. Diese Bahnen wieder gangbar zu machen, geht schneller, als neue auszubilden. Trotzdem braucht es ein wenig Zeit, die einst automatischen Funktionen wieder zu aktivieren.
Das betrifft vor allem die Steuerung. Das Gehirn muss, wenn wir beim Beispiel des Klavierspielens bleiben, aufnehmen und verarbeiten, wie Sie vor dem Klavier sitzen und wie groß der Abstand zum Tastenfeld und den Pedalen ist. Denn bei allem, was Sie tun, müssen Sie im Gleichgewicht bleiben und sollten nicht vom Hocker fallen. Auch spielt eine wichtige Rolle, wo die Füße auf die Pedale treten und wie sich die Tasten anfühlen. Wie breit die Tasten sind und wie viel höher die schwarzen Tasten liegen, entscheidet darüber, wie Sie Ihre Finger bewegen.
Wann Sie welche Note spielen und ob Sie die Pedale benutzen, bestimmt das Notenblatt, sprich die Melodie, die Sie spielen wollen. Das Lesen der Noten erfordert eine koordinierte Bewegung der Augäpfel, um die Töne wahrzunehmen. Viele verschiedene Hirnfunktionen sind notwendig, um aus den schwarzen Punkten und Strichen, die die Netzhaut vom Notenblatt aufnimmt, die richtigen Töne und Tempi zu konstruieren.
Im Alltag merkt man oft nicht, wie viele Körperteile und Funktionen zusammenwirken, um eine Alltagsbewegung zu ermöglichen. Erst, wenn wir etwas neu erlernen, bekommen wir eine Vorstellung davon, wie viele aufeinander abgestimmte Teilbewegungen es erfordert, um einen komplexen Ablauf zu bewerkstelligen. Wieder etwas anderes ist es für das Gehirn, wenn diese Bewegung als Automatismus abgerufen wird. Das Sitzen am Klavier wird Ihnen schnell wieder vertraut vorkommen, wenn Sie früher ein versierter Pianist waren. Dann kommen Sie rasch wieder in Ihr Spiel hinein und bewegen die Tasten nach einer kurzen Anlaufzeit wie früher.
Egal, ob wir etwas neu erlernen oder schon können, das Gehirn muss Signale, die auf unseren Körper einwirken, über dafür eingerichtete Rezeptoren aufnehmen. Danach sortiert es diese Informationen an der richtigen Stelle ein und schaltet passende Antworten. Die Reaktionen auf die angekommenen Reize laufen mehr oder weniger automatisch ab. Wie das genau passiert, werde ich im weiteren Verlauf des Buchs erläutern. Es gibt Antworten, die unbewusst ablaufen und welche, die unsere Aufmerksamkeit erfordern und bewusst gesteuert werden.
Jeder Mensch kann alle Fähigkeiten lernen. Wie gut er das hinbekommt, ist vor allem eine Frage der Motivation. Alter spielt beim Lernen eine kleinere