ZWEI
Andrina hastete die Treppe nach oben und betrat außer Atem die Büroräume des Verlags. Aus dem Sitzungszimmer drang Stimmengemurmel.
Seraina hatte sich gestern Abend bereit erklärt, Rebecca bis zum Mittag zu übernehmen. Wie so oft hatte Andrina sich gefragt, was sie ohne ihre Schwester machen würde. Seraina hatte eine Physiopraxis und an drei Tagen in der Woche Patienten.
Andrina war gerade abgefahren, als Seraina anrief. Regina habe erbrochen, und es sei keine gute Idee, Rebecca zu bringen. Andrina war nichts anderes übrig geblieben, als umzukehren und Enricos Angebot anzunehmen, da ihre Nachbarin einen Arzttermin hatte und nicht einspringen konnte. Ruth Bischofsberger hatte bereits öfter ausgeholfen, wenn Not am Mann war.
Andrina klopfte an die Tür zum Sitzungszimmer und öffnete sie.
»Schön, dass du endlich den Weg gefunden hast«, begrüßte Elisabeth sie. »Pünktlichkeit ist dir offenbar nicht bekannt.«
»Ich musste Rebecca erst –«
»Wenn du das Familienleben und den Job nicht unter einen Hut bringst, solltest du überlegen, ob –«
»Ob ich lieber kündige«, fauchte Andrina sie an. »Du hast recht, das sollte ich in Betracht ziehen.« Sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust.
»Stopp.« Tatjana stand auf. »Andrina kommt außerhalb ihrer Präsenzzeit, und du hast sie erst gestern Abend verständigt, was ich nicht fair finde. Ich an deiner Stelle hätte ihr offeriert, Rebecca mitzubringen.«
Elisabeth öffnete den Mund, klappte ihn aber zu Andrinas Erstaunen gleich wieder zu.
»Ich finde es toll, wie Andrina sich organsiert hat«, fuhr Tatjana fort. »Da wäre eher ein Dankeschön als eine Rüge angebracht.«
Elisabeth funkelte Tatjana an, sagte zu Andrinas erneuter Verwunderung aber nichts. Andrina hätte es nicht gewagt, aber Tatjana genoss eine Sonderstellung. Wenn eine Elisabeth die Meinung sagen konnte, war sie es.
»Setz dich, Andrina.« Elisabeth zeigte auf den Stuhl neben Tatjana. »Wir sind fast fertig, und ich fasse zusammen. Ich nehme an, du hast von Melissa Sondereggers Ableben gehört?«
Andrina nickte.
»Die Polizei hat mich kontaktiert«, fuhr Elisabeth fort. »Herr Wagner sagte, sie würden gerne mit den Mitarbeitenden des Verlags sprechen, die mit ihr Kontakt hatten. Ihr unerwarteter Tod ist tragisch, aber ich frage mich, wieso die Polizei uns Fragen stellen will. Das bringt rein gar nichts.«
Las sie keine Zeitung? Auch in den Radionachrichten war am Morgen über den Tod berichtet worden. Inzwischen wurde wiederholt die Frage gestellt, ob es Mord war. Bisher hatte die Polizei es weder bestätigt noch dementiert.
»Bei einem außergewöhnlichen Todesfall schauen sie genauer hin«, sagte Andrina. »Sie wollen sichergehen, dass keiner nachgeholfen hat.«
»Woher weißt du das?«, fragte Elisabeth scharf.
»Das ist die normale Vorgehensweise«, schaltete sich Gabi ein. »Melissa Sonderegger war jung, und soweit ich in den Medien gelesen habe, bestanden keine gesundheitlichen Probleme. Daher darf man einen gewaltsamen Tod nicht außer Acht lassen.«
»