1. Vergewisserungen:
Ideengeschichtliche Hintergründe ignatianischer Pädagogik
Omar Ibrahim
DieGeistlichen Übungen (1544/2008) von Ignatius gelten bis heute als der maßgebliche Referenztext sowohl einer ignatianischen Spiritualität als auch einer ignatianischen Pädagogik. Zwar gibt es weitere Texte, auf die bis heute immer wieder Bezug genommen wird, um das Selbstverständnis ignatianischer Pädagogik zu artikulieren, doch wird in diesen Texten selbst wiederum auf dieExerzitien rekurriert (vgl. Mertes 2004, S. 9 f.), wodurch ein Traditionszusammenhang gestiftet wird, der berücksichtigt werden will, insofern eine Standortbestimmung ignatianischer Pädagogik entwickelt werden soll. Diese hat denGeistlichen Übungen besondere Beachtung zu schenken, und zwar auch dann, wenn man in der darin beschriebenen Form des Miteinanderumgehens zwischen einem Exerzitienbegleiter (Person, die die Übungen gibt) und einem Exerzitanten (Person, die die Übungen durchläuft) gar keine Erziehung erkennt – was selbst wiederum eine umstrittene Deutung derExerzitien bedeuten würde (vgl. Merz 2000, S. 266; Funiok& Schöndorf 2000, S. 10).
DieGeistlichen Übungen sind in ideengeschichtlichen Zusammenhängen situiert, die vor allem in ihrer Bedeutung für eine ignatianische Pädagogik in ihren verschiedenen Spielarten kaum aufgearbeitet sind (vgl. jedoch Lundberg 1966). Eine Vergewisserung der entsprechenden Zusammenhänge erlaubt es nicht nur, die ideengeschichtlichen Hintergründe ignatianischer Pädagogik ›sichtbar‹ zu machen, sondern eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, Kontinuitäten, Brüche, partielle Verschiebungen sowie grundlegende Neuorientierungen in den offerierten Beschreibungen von Erziehung in den Blick zu rücken. Allerdings sollte man sich hierbei vor einem ›naiven‹ Herangehen hüten, denn es ist keineswegs selbstverständlich, wie eine entsprechende Vergewisserung erfolgen sollte.
Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich der erste Teil unserer Untersuchung mit der Frage, wie die ignatianische Pädagogik vergewissert werden kann und auf welche ideengeschichtlichen Zusammenhänge man stößt, wenn man eine entsprechende Vergewisserung unternimmt. Wenn Hans Urs von Balthasar fragt, was das »Christliche am Christentum« (von Balthasar 2019, S. 5) sei, so ist diese Frage nicht rhetorisch zu verstehen, sondern drängt diese in theologischer Hinsicht auf eine Antwort. Entsprechend kann auch die Frage, was dasIgnatianische an der ignatianischen Pädagogik sei, gestellt werden. Im Folgenden werden unterschiedliche Aspekte dieser Problemstellung bearbeitet und damit Zusammenhänge in den Blick gerückt, an die in den weiteren Teilen der Arbeit angeschlossen wird.
1.1 Die Frage nach der Frage
Sich im Kontext einer Vergewisserung der Tradition ignatianischer Pädagogik vor einer ›naiven‹ Herangehensweise zu hüten, bedeutet insbesondere, dass man sich im Hinblick auf eine entsprechende Vergewisserung zuerst vergewissern muss,wie überhaupt vergewissert werden kann. Die folgenden Überlegungen kombinieren drei Formen der Vergewisserung, die hier alsanalytische,genealogische undallegorische Vergewisserung bezeichnet werden.
In deranalytischen Vergewisserung wird eine transzendentalkritische Analyse eines Phänomens oder eines Begriffes angestrebt. Es werden in diesem Sinne unterschiedliche Möglichkeitsbedingungen aufgedeckt, welche eine Reidentifikation des besagten Phänomens möglich machen (vgl. Niquet 1991, S. 26 ff.). Die Möglichkeitsbedingungen bilden also die notwendigen – und gemeinsam eventuell hinreichenden – Bedingungen dafür, dass ein Phänomen als genau jenes Phänomen bestimmt und unter anderen Umständen reidentifiziert werden kann. Dies soll sowohl in synchroner als auch diachroner Weise möglich sein. Das Ergebnis einer analytischen Vergewisseru