: Furio Jesi
: Spartakus Symbologie der Revolte
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783751820554
: 1
: CHF 20.80
:
: Geisteswissenschaften allgemein
: German
: 267
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Schon 1969 hat Furio Jesi Spartakus. Symbologie der Revolte verfasst, doch erst 2000 wurde seine Rekonstruktion des Spartakusaufstandes in Berlin im Winter 1918-19 posthum veröffentlicht. Hier liegt sie erstmalig in deutscher Übersetzung vor. Am Beispiel des Spartakusaufstandes entwickelt Jesi den grundlegenden politischen Unterschied von Revolution und Revolte. Ausgehend von literarischen Quellen wie Brecht, Eliade, Nietzsche, Mann und Bakunin skizziert Jesi eine Phänomenologie der Revolte, die zwei Zeitlichkeiten gegeneinander stellt: die zielgerichtete Linearität der Revolution und die »Aussetzung der historischen Zeit« in der Revolte. Jesi behauptet einen grundlegenden Unterschied zwischen dem unmittelbaren Erscheinen (Epiphanie) der Idee und ihrer Erstarrung im ideologischen Kanon, zwischen der Zeit der Subversion oder des Mythos und der Zeit der Erinnerung. Damit verbindet er Mythos und Revolte und versteht die Wirklichkeit des Mythos als etwas radikal Neues, gerade weil sie sich nicht in die Zeit der Erinnerung einschreiben lässt und wieder zu einem Synonym von Wahrheit wird. Jesi, der eine ganze Generation italienischer Denker:innen von Pasolini über Eco bis Agamben beeinflusste, zeigt das spartakistische Berlin als eine aktualisierte Version der Pariser Kommune, die dann wiederkehrt in den Revolten des Pariser Mai 1968 und den politischen Kämpfen im Italien der 70er Jahre und so politisch anschlussfähig bleibt für gegenwärtige Bewegungen, die den Status quo eines 'There is no alternative' angreifen.

Furio Jesi (1941-1980), war Germanist, Mythologieforscher und Übersetzer. Er war Professor für deutsche Literatur an den Universitäten von Palermo und Genua. Zu seinen Werken zählen: Germania segreta.?Mythen in der deutschen Kultur des 20. Jahrhunderts (1967; 2018); Literatur und Mythos (1968; 2002); Kultur von rechts (1979; 2011).

Einführung
Subversion und Gedächtnis71


Dieses Buch ist keine Geschichte derSpartakusbewegung und desSpartakusaufstandes. Bereits der Titel der Reihe, in er es veröffentlicht wird (»Mythos und Symbol des modernen Deutschland«), gibt einen Hinweis auf den Inhalt des Buches: Es ist eine Studie über Mythen und Symbole, und der Untertitel (»Symbologie der Revolte«) verweist auf die Absicht, zu Überlegungen, wenn nicht gar zu Schlussfolgerungen allgemeiner Art zu gelangen, die über die deutschen Situationen hinausgehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die damaligen Ereignisse und die Geschichte Deutschlands in der Moderne im Allgemeinen nur eine Art Gelegenheit oder Vorwand wären. Der Ausgangspunkt und die meisten Beispiele sind »deutsch«, weil uns die deutsche Situation die aufschlussreichste, die schematischste und zugleich die an Komponenten reichste Situation zu sein scheint, um eben jene Schlussfolgerungen allgemeiner Art ziehen zu können.

Im Versuch, eine dialektische Alternative zu einer historisierenden Interpretation der Ereignisse anzubieten, setzt dieses Buch den Diskurs unseres VorgängersGermania segreta fort (dem ersten Teil der Reihe), und es wird voraussichtlich wiederum Hinführung zu einer dritten Schrift sein, in Anlehnung an ein Schema von Carl Justi,72 der über dieMonumente Michelangelos inSan Lorenzo sagte, der Mensch soll oder sollte leben zuerst mit den Toten, dann mit den Lebenden, und schließlich mit sich selbst.

I. Idee und Ideologie.

Die bürgerliche Konditionierung

In der bürgerlichen Welt ist es legitim, sich zu fragen, ob es eine Ideologie geben kann, die nicht subversiv ist. Ist nicht selbst noch eine Ideologie, die sich als die konservativste versteht oder ausgegeben wird, subversiv, gerade weil sie eine Ideologie ist? Aus dem Kontext des Klassenkampfes herausgelöst, sind die Epiphanie einer Idee und ihre Art und Weise, sich ins Zentrum einer Erfahrung des Seins und des Verhaltens zu setzen, die so vordem nicht da waren (auch wenn es in der Vergangenheit Vorbilder für sie gegeben haben mag), nicht einfach nur neue Tatsachen. Diese Tatsachen selbst sind Träger des Neuen, sie sind subversive Tatsachen, Symptome oder Determinanten des – je nach Geschichtsverständnis – beständigen Werdens oder der ewigen Wiederkehr. Die marxistische wie die faschistische Ideologie sind in diesem Sinne beide neuartig und subversiv, und beide sind gleichermaßen dazu bestimmt, »an den Felsen der Existenz zu zerschellen«,73 wenn einst auch diese Ideen das wiederkehrende Schicksal ereilen wird, zur starren Ideologie geworden zu sein. Denn vielleicht ist es in der Tat so, wie Schiller schrieb: »Spricht die Seele, so spricht ach! schon dieSeele nicht mehr.«74 Sobald die Ideologie zu existieren beginnt, hat sich die Idee zu einem Kristall ausgeformt: Aus der subversiven Kraft, die sie im Anfang war, wurde ein Paradigma, aus beweglicher, alltäglich gelebter Realität wurde ein Spiegel, und zwar der einzige Spiegel, nach dem die Bourgeoisie gewohnheitsmäßig Bedeutung und Wert des Verhaltens derjenigen beurteilte, die diese Idee zu ihrem Mittelpunkt machten. Doch dadurch – so könnte der »aufgeklärte« bürgerliche Intellektuelle einwenden – verliert man den genuin75 subversiven Charakter einer jeden Ideologie aus den Augen, und man sieht nur mehr Formeln, die an sich keineswegs neu, ja die meist althergebracht sind; und nun führt ausgerechnet ihre mehr oder weniger große Altertümlichkeit dazu, dass diese ideologischen Formeln als subversiv oder konservativ bestimmt werden.

In der bürgerlichen Gesellschaft bestimm