Einführung
Subversion und Gedächtnis71
Dieses Buch ist keine Geschichte derSpartakusbewegung und desSpartakusaufstandes. Bereits der Titel der Reihe, in er es veröffentlicht wird (»Mythos und Symbol des modernen Deutschland«), gibt einen Hinweis auf den Inhalt des Buches: Es ist eine Studie über Mythen und Symbole, und der Untertitel (»Symbologie der Revolte«) verweist auf die Absicht, zu Überlegungen, wenn nicht gar zu Schlussfolgerungen allgemeiner Art zu gelangen, die über die deutschen Situationen hinausgehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die damaligen Ereignisse und die Geschichte Deutschlands in der Moderne im Allgemeinen nur eine Art Gelegenheit oder Vorwand wären. Der Ausgangspunkt und die meisten Beispiele sind »deutsch«, weil uns die deutsche Situation die aufschlussreichste, die schematischste und zugleich die an Komponenten reichste Situation zu sein scheint, um eben jene Schlussfolgerungen allgemeiner Art ziehen zu können.
Im Versuch, eine dialektische Alternative zu einer historisierenden Interpretation der Ereignisse anzubieten, setzt dieses Buch den Diskurs unseres VorgängersGermania segreta fort (dem ersten Teil der Reihe), und es wird voraussichtlich wiederum Hinführung zu einer dritten Schrift sein, in Anlehnung an ein Schema von Carl Justi,72 der über dieMonumente Michelangelos inSan Lorenzo sagte, der Mensch soll oder sollte leben zuerst mit den Toten, dann mit den Lebenden, und schließlich mit sich selbst.
I. Idee und Ideologie.
Die bürgerliche Konditionierung
In der bürgerlichen Welt ist es legitim, sich zu fragen, ob es eine Ideologie geben kann, die nicht subversiv ist. Ist nicht selbst noch eine Ideologie, die sich als die konservativste versteht oder ausgegeben wird, subversiv, gerade weil sie eine Ideologie ist? Aus dem Kontext des Klassenkampfes herausgelöst, sind die Epiphanie einer Idee und ihre Art und Weise, sich ins Zentrum einer Erfahrung des Seins und des Verhaltens zu setzen, die so vordem nicht da waren (auch wenn es in der Vergangenheit Vorbilder für sie gegeben haben mag), nicht einfach nur neue Tatsachen. Diese Tatsachen selbst sind Träger des Neuen, sie sind subversive Tatsachen, Symptome oder Determinanten des – je nach Geschichtsverständnis – beständigen Werdens oder der ewigen Wiederkehr. Die marxistische wie die faschistische Ideologie sind in diesem Sinne beide neuartig und subversiv, und beide sind gleichermaßen dazu bestimmt, »an den Felsen der Existenz zu zerschellen«,73 wenn einst auch diese Ideen das wiederkehrende Schicksal ereilen wird, zur starren Ideologie geworden zu sein. Denn vielleicht ist es in der Tat so, wie Schiller schrieb: »Spricht die Seele, so spricht ach! schon dieSeele nicht mehr.«74 Sobald die Ideologie zu existieren beginnt, hat sich die Idee zu einem Kristall ausgeformt: Aus der subversiven Kraft, die sie im Anfang war, wurde ein Paradigma, aus beweglicher, alltäglich gelebter Realität wurde ein Spiegel, und zwar der einzige Spiegel, nach dem die Bourgeoisie gewohnheitsmäßig Bedeutung und Wert des Verhaltens derjenigen beurteilte, die diese Idee zu ihrem Mittelpunkt machten. Doch dadurch – so könnte der »aufgeklärte« bürgerliche Intellektuelle einwenden – verliert man den genuin75 subversiven Charakter einer jeden Ideologie aus den Augen, und man sieht nur mehr Formeln, die an sich keineswegs neu, ja die meist althergebracht sind; und nun führt ausgerechnet ihre mehr oder weniger große Altertümlichkeit dazu, dass diese ideologischen Formeln als subversiv oder konservativ bestimmt werden.
In der bürgerlichen Gesellschaft bestimm