1.1Jeden Tag etwas Neues – lernbegeistert wie nie
Alle Buntstifte sind ordentlich angespitzt und mit Namen versehen. Außerdem sind sie natürlich so in die Laschen des Federmäppchens gesteckt worden, dass man bei allen das Logo des Herstellers sieht. Sie bilden eine perfekte Aneinanderreihung von Farben. Den Anfang macht der gelbe, das Ende der schwarze Buntstift – dazwischen fächert sich ein Regenbogen auf. In den Laschen daneben finden sich zwei ebenso sorgfältig angespitzte Bleistifte, ein mit Namen beschrifteter Radiergummi und natürlich der Spitzer. So sieht ein typisches Grundschulmäppchen aus – zumindest am allerersten Schultag. Ab Tag 2 verliert der Regenbogen nach und nach die eine oder andere Farbe. Manche davon finden sich lose im Schulranzen wieder – andere verschwinden für immer in diesem großen schwarzen Loch, in dem Schreibwaren von Grundschulkindern nun einmal unser Raum-Zeit-Kontinuum verlassen.
Aber am ersten Tag, da ist alles schön. Ich glaube, der erste Schultag ist einer dieser Momente im Leben vieler Menschen, in denen die abgedroschene Gedichtzeile „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne …“ aus dem GedichtLebensstufen von Hermann Hesse tatsächlich spürbar wird. Sehr viele kleine Menschen brennen regelrecht darauf, endlich den Ranzen schultern zu dürfen und in die Schule zu gehen.
Sie lieben das Gefühl daran, einen Schritt weiter zu sein. Zu den Schulkindern zu gehören. Zu den Großen. Ein Stückchen weiter in die Welt gehen, Abenteuer erleben – und endlich lesen, schreiben und rechnen lernen. Das ist großartig! Sie feiern jeden Buchstaben, jede Zahl – ja, und sogar die erste Hausaufgabe (was ab der zweiten passiert, schauen wir uns im nächsten Kapitel genauer an – hier geht es nur um die erste richtige Hausaufgabe).
All das zu erleben, kann wirklich bezaubernd sein. Auf jeden Fall ist diese herrlich naive Vorfreude, mit der viele Kinder an den Schulstart gehen, tatsächlich hilfreich und trägt unsere Kinder in eine Lebensphase, die ansonsten auch nicht ohne ist.
In die Schule gehen bedeutet nämlich, dass sich das kindliche Leben von Grund auf ändert. Vorbei die Tage, an denen man sich morgens aussuchen konnte, ob man in der Bau- oder der Puppenecke spielen wollte, in der es lange Gartenzeiten zum Toben und Spielen gab und sich das Kindergartenjahr überschaubar von Karneval über Ostern, lange Sommertage, Laternenbasteln und der Vorweihnachtszeit hinzog. Vorbei die Zeit, als es zuallererst darum ging, dass sie sich wohl und geborgen fühlten und sich die Erwartungen an sie noch in Grenzen hielten. Vorbei die Zeit, in der sie auch mal ein halbes Stündchen später kommen konnten – oder gar nicht.
Auf einmal dürfen unsere Kinder nicht nur lernen und täglich neue Herausforderungen erleben – sie müssen es auch. Sie sind Teil eines festen Ablaufs, ihr Alltag richtet sich fortan nach einem Stundenplan, auf dem Mathe bei Frau Schulze bedeutet, dass man Mathe bei Frau Schulze machen muss, auch wenn man so viel lieber in der Bauecke wäre.
Wir dürfen das alle erst lernen
Frusterlebnisse und der Umgang mit Frust gehören deshalb fortan ebenfalls zu unserem Familienalltag. Viele Eltern, gerade wenn sie das erste Mal Kinder in diese Lebensphase begleiten, sind unsicher, wie sie das gut bewältigen und ihnen ein stabiler Anker sein können, wenn sich so viel um sie herum verändert.
Die gute Nachricht ist: Auch hier brauchen unsere Kinder keine perfekten Eltern. Wir müssen nicht sofort Expert:innen fürs Thema Grundschule sein, das dürfen wir denen überlassen, die dies von Berufswegen sind. Wir dürfen mit unseren Kindern zusammen in diese neue Lebensphase wachsen.
Unsere Aufgabe ist es, einen Rahmen zu schaffen, in dem dieses Wachstum gut möglich ist. Wir dürfen in den ersten Wochen und Monaten der Grundschulzeit herausfinden, was uns allen guttut. Wie stehen wir morgens auf? Wie gestalten wir die Zeit, bevor wir alle aus dem Haus müssen? Wie organisieren wir die Nachmittage? Nehmen wir für unsere Kinder Schul- und Hausaufgabenbetreuung