1. KAPITEL
Wenn Blicke töten könnten …
Dr. Anna Bartlett geruhte endlich, im OP zu erscheinen, und wirkte alles andere als begeistert, dass Luke ohne sie angefangen hatte.
Natürlich hatte er ihre Nachricht erhalten, dass sie in der Notaufnahme aufgehalten wurde, weil sie bei einem schwer verletzten Unfallopfer eine Thorakotomie durchführen musste. Aber was erwartete sie? Dass er die Operation verschob, bis sie hier auftauchte?
Bestimmt nicht. Sein Patient wartete schon zu lange darauf. Außerdem hatte Luke nicht ahnen können, wie lange Dr. Bartlett mit dem Notfall beschäftigt sein würde. Deshalb hatte er das einzig Logische getan – und sich einen anderen Assistenten besorgt. Kinderherzchirurg James Alexander hatte Zeit gehabt und war gern bereit gewesen, dem zurückgekehrten leitenden Chefarzt der Abteilung zur Seite zu springen.
Luke war achtzehn Monate weg gewesen, und in der Zeit hatte James am Krankenhaus St. Piran angefangen. Er wohnte ganz in der Nähe, seine Frau Charlotte arbeitete als Oberärztin in der Kardiologie. Das war nur eine von vielen Veränderungen, die Luke bei seiner Rückkehr vorgefunden hatte … schwer vorstellbar, dass er einmal Teil dieser Welt gewesen war. Aber er hatte auf schmerzhafte Weise erfahren müssen, dass sich das Leben von einer Minute zur anderen schlagartig veränderte.
Erschüttert durch den Tod seines jüngeren Bruders hatte Luke beschlossen, als Arzt zur Armee zu gehen. Damals war ihm klar, dass nichts mehr so sein würde, wie es war, und doch war er wieder da, am selben Platz, im selben Job.
Um die Scherben seines alten Lebens aufzusammeln und zu kitten?
Wenn es ihm selbst schon merkwürdig vorkam, so war es kein Wunder, dass Anna Bartlett in ihm einen Störenfried sah. Jeder hier im Krankenhaus hatte gewusst, dass seine Stelle nur vorübergehend neu besetzt worden war, doch augenscheinlich hatte niemand damit gerechnet, dass er schon so bald aus dem Kriegsgebiet zurückkehren würde. Vielleicht hatte Anna insgeheim gedacht, er käme vielleicht gar nicht wieder?
Obendrein war es nicht das erste Mal, dass Luke ihr einen Posten wegschnappte. Vor drei Jahren, als es um die Leitung der Herzchirurgie ging, hatte man sich gegen sie und für ihn entschieden.
Oh ja, das könnte den tödlichen Blick erklären, mit dem sie ihn bedachte, als sie nun den OP betrat. Einen Schritt vom Team entfernt, das sich um den OP-Tisch versammelt hatte, blieb sie stehen. Sie trug Mundschutz und sterile Kleidung und hielt die Hände sorgsam vom Körper weg.
Anna Bartlett war schlank und für eine Frau sehr groß. Und auch wenn ihre grünen Augen ihn im Moment an harte, ungeschliffene Smaragde erinnerten, so waren es Augen, die ein Mann nicht so schnell vergaß. Das Gleiche galt für ihre Haltung. Dr. Bartlett stand vollkommen ruhig da, eine Ärztin, die sich ihrer Kompetenz bewusst und zu eiserner Disziplin fähig war.
Das hatte James vorhin im Waschraum auch zu ihm gesagt. Die Chirurgin galt als erfahren und nahezu penibel, eine Frau, die keine Kompromisse machte, wenn es um das Wohl ihrer Patienten ging. Single, und das freiwillig. Wahrscheinlich, weil kein Mann mit dem Beruf mithalten konnte, dem sie sich mit Leib und Seele verschrieben hatte.
„Sie ist gut“, hatte James hinzugefügt. „Sehr gut. Sie können sich freuen, dass sie als Ihre Assistentin dableibt. Mit dem Ruf, den sie sich hier erworben hat, könnte sie überall hingehen.“
Jetzt begrüßte James sie als Erster. „Anna! Das ging aber schnell.“ Er warf ihr einen prüfenden Blick zu und runzelte die Stirn. „Nichts mehr zu machen, hm?“
„Nein.“ Der Versuch, einen Notfallpatienten zu retten, war fehlgeschlagen. Mit einem einzigen Wort hakte Anna Bartlett das Thema ab und wandte sich dem nächsten zu. „Möchten Sie, dass ich übernehme?“
„Wenn Luke nichts dagegen hat, gern. Eigentlich hätte ich längst Visite machen müssen, und heute Nachmittag habe ich eine volle OP-Liste.“ James verschloss mit dem Elektrokauter ein Blutgefäß und blickte dann auf. „Luke? Haben Sie Anna schon kennengelernt?“
„Nein.“ Seine Antwort war genauso lakonisch wie ihre.
Er fuhr mit der langen, vertikal