Gefährliche Klippen, sichere Häfen
Erinnerungen an meine Grossväter
Seltsam, wie ähnlich meine Grossväter einander waren. Beide waren gross gewachsene und freundliche, aber schweigsame und in sich gekehrte Männer. Der eine rauchte Pfeife, der andere filterloseParisiennes carrées. Beide trugen Anzug und Krawatte. Ohne Hut gingen sie nicht aus dem Haus.
Mag sein, dass sie in ihrer Jugend anders und unterschiedlich gewesen waren; ich habe sie erst als alte Männer gekannt. Bei Tisch waren sie wortkarg, das Gespräch überliessen sie den Frauen und Kindern. Als ich klein war, fand ich sie geheimnisvoll. Später neigte ich zu der Vermutung, dass ihre Schweigsamkeit weniger ein Zeichen von Tiefsinn war als vielmehr nur von Schweigsamkeit. Und Einsamkeit. Einsamkeit wohl vor allem.
Ihre Geburtsstätten liegen tausend Kilometer auseinander. Der eine ist 1900 inGuingamp in derBretagne zur Welt gekommen, der andere 1899 in Seewen im Basler Hinterland. Soweit ich weiss, haben ihre Wege sich nur einmal 1960 für ein paar Stunden gekreuzt, anlässlich der Hochzeit meiner Eltern in Paris. Gestorben sind sie kurz nacheinander gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Ihre Langlebigkeit verdanken sie vermutlich günstigen Genen, gewiss auch eigener Tüchtigkeit und nicht zuletzt der Fürsorge ihrer Frauen. Hinzu kam biografisches Glück – eine glückliche Synchronisation ihrer Lebensläufe mit der Weltgeschichte, könnte man sagen, ohne die es meine Eltern, mich und meine Geschwister nie gegeben hätte. Und unsere Kinder und Kindeskinder auch nicht.
Ein erstes Mal hatten meine zwei Grossväter Glück, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Da waren sie vierzehn und fünfzehn Jahre alt – der eine zu jung, um in Verdun durch den Fleischwolf gedreht zu werden, der andere noch nicht alt genug, um am Rhein Wache zu stehen. Wären sie nur zwei oder drei Jahre früher zur Welt gekommen, hätten vor allem die Nachfahren meines französischen Grossvaters schlechte Chancen gehabt, das Licht der Welt zu erblicken.
Ein zweites Mal hatten sie Glück, als sie auf die zwanzig zugingen und die Spanische Grippe Millionen junge Männer das Leben kostete. Sie überlebten. Aus irgendeinem Grund hat das Virus sie nicht getötet und ihrer Fortpflanzung keinen Riegel geschoben.
Ein drittes Mal hatten sie Glück, als Inflation und Weltwirtschaftskrise Millionen in Armut, Hunger und Vereinzelung stürzten. Meine Grossväter schafften es, Fuss zu fassen in ehrbaren, existenzsichernden Berufen. Der eine wurde Polizeichemiker in Paris, der andere Grundschullehrer in Büsserach. Sie heirateten, gründeten einen Hausstand und zeugten Kinder, von denen – noch mehr Glück – keines in jungen Jahren starb. Gelegenheiten für einen frühen Tod hätte es viele gegeben in jenen Jahrzehnten, in denen noch keine Antibiotika und erst wenige Impfungen existierten.
Mitte der Dreissigerjahre bezog der Vater meines Vaters eine geräumige Beamtenwohnung in derRue des Écoles, aus der er zeitlebens nicht mehr auszog, weil der staatlich festgelegte Mietzins über ein halbes Jahrhundert gleich blieb. Der Vater meiner Mutter baute mit dem Geld seines Schwiegervaters, der Gastwirt und Posthalter war, ein Haus ausserhalb des Dorfs auf einem einsamen Hügel. Die Parzelle war riesig, das Land billig. Die L