: Nina Polak
: Landleben
: mareverlag
: 9783866488472
: 1
: CHF 13.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 256
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nachdem ihre Beziehung die erste hürdenreiche Zeit überstanden hat, beschließen Rivka und Esse, der Enge Amsterdams zu entfliehen. Am Rande des Dorfs Onderweer, wo man an guten Tagen das Meer riechen kann, finden sie ein altes Haus inmitten eines großen Gartens. Hier hofft Esse, ihre Gefühlswelt zu erden, und Rivka, neue Inspiration für ihr Schreiben zu finden. Doch nach dem Umzug ist der Mistgeruch penetrant, das Wetter oft schlecht, und der Garten stellt sich als unbändiges Monster heraus, in dem das Unkraut wuchert, sobald man ihm den Rücken kehrt. Spätestens aber, als die Pferdestallbesitzerin und Ratgeberautorin Eva Alta aus dem Nachbardorf auftaucht, um Rivka und Esse ungefragt durch ihr neues Leben zu coachen, fällt ein tiefschwarzer Schatten auf ihren Traum der ländlichen Idylle.

Nina Polak, geboren 1986, studierte Literaturwissenschaft und Cultural Analysis in Amsterdam und New York und ist seit 2013 Redakteurin bei De Correspondent. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet und vom niederländischen Feuilleton gefeiert. Bei mare erschien 2023 ihr Roman »Zuhause ist ein großes Wort«.

Im neuen Garten stand eine Platane. An der glatten, blätternden Borke hatte Rivka es gleich erkannt. Esse hatte auf Ahorn getippt.

Zwei Monate vor dem Umzug hatten sie mit einem etwas schmuddeligen Makler neben diesem Baum gestanden und sich das »charakteristische Wohnhaus von 1900« von hinten angeguckt. Snibbe hatte sich ins Gras gefläzt, als ob der Garten schon ihm gehörte. Der Makler sprach wenig, während er Rivka und Esse herumführte. Was er sagte, klang nordisch: spröde, relativierend. Rivka ließ es drauf ankommen und nahm demonstrativ die Hand ihrer Freundin, und als sie dem Makler Hand in Hand in die sonnendurchflutete Küche folgten, bemerkte er staubtrocken, dass ein Stück weiter zwei Männer wohnten. Auch aus dem Westen.Nette Leute.

»Makler sind hier einfach normale Menschen«, sagte Rivka auf der Rückfahrt. Sie spürte, dass Esse ihre Begeisterung über das Haus im Zaum halten wollte, und verfiel in Schweigen. Es war ein gegenseitiges Abtasten der Stimmung. Beide waren sich einig, ahnte Rivka, aber auch auf der Hut, weil es zu schön schien. Der Dampf von glücklichem Hund füllte den Wagen, Rivka schaute in die Weite, das Noorderland, von dem sie nicht genau sagen konnte, ob sie es beruhigend oder beängstigend fand. Inmitten der Lehmwüste war dieses unerhört bezahlbare Haus eine Oase, ein Hafen, mit einem Schuppen im Garten, wo sie sich schreiben sah. Sie sah ihre Büchersammlung im Einbauregal im Wohnzimmer, Esses Fotografien im Flur mit dem fahlen Marmor.

»Man könnte meinen, da ist was faul«, durchbrach Esse die Stille im Auto.

»Irgendwas ist immer«, sagte Rivka.

Wenig später hatten sie an der A6 gehalten. Ein kurzer Blickwechsel, dann rief Esse den menschelnden Makler an und machte ein Angebot.

Der Umzug verlief harmonisch, der Abschied vom Alten unsentimental. Die Möbelpacker waren weg. Jetzt wohnten sie hier, hoch im Norden, wo man an guten Tagen das Meer riechen konnte. Es war kein großes Haus, aber der tiefe Garten ein üppiges Stück Zukunft. Friedlich und voller Möglichkeiten, so hatte er auf sie gewirkt. Er ließ ihre abgehetzten Herzen ruhig und kräftig schlagen.

Außer der Platane, sah Rivka jetzt durchs Fenster einer Küche voller Kisten, standen im Garten noch eine schlanke Lärche, eine Birke und am Graben drei Kopfweiden. Nur eine Fingerübung für Rivka – inzwischen konnte sie schon an die fünfzig Baumarten bestimmen. Die Welt dehnte sich aus, wenn etwas, was früher nur einen einzigen Namen hatte –Baum –, sich auf einmal in unzählige wohlklingende Kategorien verzweigte. Pappel, Zypresse, Herlitze – wie war sie ihr Leben lang bloß ohne diese Wörter ausgekommen?

Bäume erfreuten sich in letzter Zeit e