3.
Frauen töten Männer, um sich trennen zu können. Männer töten Frauen, wenn sie verlassen wurden. Vergewaltiger töten ihr Opfer, um unerkannt zu bleiben. Bankräuber Kassierer, wenn sie im Wege stehen, und Selbstmörder sich selbst, wenn sie den Sinn des Lebens nicht finden. Aber als Scharfschütze gibt es nur einen Grund zu töten: der Auftrag.
Es war während der Grundausbildung. Sie saßen zu dritt in der Offizierskantine, dieselben Tische wie in der Kantine der Soldaten mit der abgewetzten Kunststoffbeschichtung, deren Farbe ihn oft an moosigen Schimmel oder schimmliges Moos erinnerte. Nur die Stühle hatten Armlehnen und waren bequemer. Es war später Nachmittag, das Licht der Neonröhren kühlte die angehende Dämmerung.
Er sei ja ein recht guter Schütze, begann der unbekannte Offizier, aber unzufrieden mit der Ausrüstung, wie man höre.Tom nickte. Ob er denn glaube, mit besserer Technik größere Präzision zu erzielen?Tom überlegte. Ihn faszinierte das Gewehr als eine perfekt konstruierte Maschine, für eine erstaunlich banale Aufgabe über Jahrhunderte hin von Wissenschaftlern, Handwerkern und Generälen entwickelt. Im Dunkeln reinigte er seine Waffe schneller als seine Kameraden, fühlte, wenn die Schlagfeder in die Schlossmutter glitt, war beeindruckt von der Schlichtheit der gefrästen Metallteile. Sein Vater arbeitete als Brückenbauingenieur bei Hochtief und erklärte ihm einmal, da war er zehn, die große Belt-Brücke, die das durch viel Wasser zerrissene Land der Dänen zusammenhielt. Selbst Jahre später, als er sie das erste Mal überquerte, konnte er sich noch an alle Details erinnern: die baumdicken Kabel der Hängebrücke aus knapp zwanzigtausend einzelnen Drähten, die Pylone fast so hoch wie der Eiffelturm, über den er in der zehnten Klasse begeistert ein Referat gehalten hatte.
Der Offizier nahmToms Nicken ungerührt auf und erkundigte sich nach seinen beruflichen Zielen.
Darüber hatte er sich tatsächlich noch keine Gedanken gemacht. Er wollte etwas machen, in dem er wirklich gut war, und er konnte halt deutlich besser schießen als Kuchen backen. Der Offizier verzog keine Miene, blätterte weiter in der Personalakte und ließ sich den Lebenslauf bestätigen. Die Mutter verstorben. Er drückte sein Beileid aus.Tom erläuterte, dass seine Mutter ihn und seinen Vater schon vor langer Zeit verlassen habe. Von ihrem Tod hatte er erst vor Kurzem erfahren und er wusste auch nicht, woran sie gestorben war.
Der Offizier lud ihn zu einem speziellen Training nach Süddeutschland ein. Man sei auf der Suche nach geeigneten Kandidaten für eine neue Einsatzgruppe.
Tom erhob sich, salutierte unbeholfen und ging, ohne den Stuhl an den Tisch zu schieben.
In diesen sieben Tagen auf einem Bundeswehrgelände in einer dünnbesiedelten Landschaft im Süden des Landes stellteTom unter Beweis, dass der Offizier ihn nicht falsch eingeschätzt hatte. Die vollautomatischen Waffen befand er für grob und ineffizient. Er lernte, dass klassische Infanteriesoldaten im Kriegseinsatz mehrere tausend Schuss brauchten, um einen Feind zu töten. Ein guter Scharfschütze hingegen konnte mit vier von fünf Patronen Wirkung erzielen. Das musste er auch, ein Präzisionsgewehr verzichtete auf die komplexe Mechanik des automatischen Nachladens und erzielte damit höhere Präzision, und das Repetieren zum Nachladen war selbst im besten Fall nicht unter einer Sekunde zu schaffen.
Viele seiner Kameraden schossen unüberlegt, ungeduldig, tappten in die Fallen, die ihnen der Ausbilder stellte und hatten oft vor dem Ende der Übung keine Munition mehr. Er jedoch spürte, wann der Wind das Gras für ein besseres Schussbild in die ri