Kapitelii
Ruf der Wildnis
Über eine schnurgerade Straße, die zum Kyffhäuser hinaufführte, gelangten wir an den unteren Rand des Bergzugs. Dicht bewaldet, erhob er sich wie ein schlafendes Tier parallel zur Autobahn aus dem flachen Land. Einem Zeigefinger gleich, ragte das Kaiser-Wilhelm-Denkmal darin auf. Es war unübersehbar.
Wir stellten das Auto ab, packten unsere Einkäufe in Rucksäcke und liefen zu Fuß weiter, denn die Straße war von hier ab nur noch schlecht befahrbar. Bald fing ich an zu schwitzen, meine Brille beschlug. Der Abzweig zum Grundstück war derart mit Gestrüpp und Brombeerranken bewachsen, dass wir ihn beinahe nicht erkannten. Dahinter war es plötzlich schattig und kühl. Ein schlammiger Hohlweg führte in den Wald hinein. Ich konzentrierte meinen Blick auf den Boden, um nicht auszurutschen oder zu stolpern. Zum Glück hatte ich meine Blundstones angezogen, Stiefel, die in Australien entwickelt worden waren. Damit konnte man sogar Feuer austreten.
Der Weg wurde steiler, der Untergrund steiniger. Felskanten waren unter den Schuhen zu spüren, die Steine zerklüftet und schartig gespült. Hier war bestimmt schon lange kein Fahrzeug mehr gefahren.»Jetzt ist es nicht mehr weit«, murmelte Franz und fing erwartungsfroh an zu pfeifen. Der Hohlweg verwandelte sich in einen schmalen Pfad und ließ sich nur noch langsam bezwingen. Das Dickicht rechts und links wurde dichter. Brennnesseln wuchsen auf dem Weg. Lange Halme und dornige Ranken schienen wie Arme nach mir zu greifen. Dahinter ragten Tannen, Kiefern und Fichten empor: Sie wuchsen eng aneinander den Hang hinauf. Es herrschte düstere Stille.
Franz hatte sich mit einem Stock bewaffnet und schlug die Brennnesseln zur Seite. In grünen Fetzen flogen die Blätter und Stiele durch die Luft. Ich musste aufpassen, dass mich nichts davon traf. Auf einmal bog er rechts ab und kletterte scheinbar ansatzlos den Hang hinauf, doch er hatte sich nicht geirrt: Der Untergrund wurde lichter und wies Reste einer Fahrspur auf. Hier war offensichtlich einst der reguläre Zugang zum Grundstück gewesen.
Wir folgten der Fährte, überwanden Wurzeln und Steine, bogen ein zweites Mal nach rechts ab, und – plötzlich waren sie zu erkennen: zwei alte Hütten, eine rechts, eine links im Hintergrund, das Holz vor Nässe schwarz, die Fenster stumpf. Notdürftig mit Pappe und Teer bedeckt, duckten sie sich in die Wildnis. Erleichtert, am Ziel angelangt zu sein, marschierte Franz mit schnellen Schritten auf die Behausungen zu, den harten Brennnesselstock noch immer in seiner Hand.»Alles meins«, schien er mir bedeuten zu wollen,»mein Land, meine Häuser, mein Wald«, aber er sprach es nicht aus.
Ich blieb allein zurück und versuchte, mich zurechtzufinden. Haushoch ragten Farne, Gräser und Buschwerk auf, ließen kaum Licht od