1. KAPITEL
Seine Tochter hasste ihn.
Behutsam öffnete Benjamin Garner die Eingangstür zu seinem geräumigen Haus, das sich über zwei Stockwerke erstreckte, und hielt einen Moment inne. Auf seiner fast viertausend Hektar großen Rinderfarm hatte er das Sagen, aber in seinem eigenen Haus fühlte er sich als Fremder.
Der Grund dafür war seine fünf Monate alte Tochter, die ihn offenbar nicht ausstehen konnte.
Jedes Mal, wenn er sich ihr näherte, stieß sie einen Schrei aus, der ganz Neuseeland hätte wecken können. Dabei lag Neuseeland ganze fünfzehn Flugstunden von Silver City in Texas entfernt.
Er bemühte sich, in seinen schweren Stiefeln so wenig Lärm wie möglich zu machen. Zwar hatte Coco Jordan, die junge Nanny, die vom ersten Moment an wahre Wunder bei der kleinen Emma bewirkt hatte, ihm versichert, dass die Kleine durchschlafen würde, aber so ganz wollte er ihr nicht glauben.
Manchmal kam es Benjamin vor, als besäße seine Tochter einen sechsten Sinn und könnte es von ihrem Kinderzimmer aus spüren, wenn er vor der Haustür stand. Bei diesem Gedanken musste er den Kopf über sich selbst schütteln. Er wurde wirklich langsam verrückt.
Auf dem Weg zu seinem Büro im hinteren Teil des Hauses kam er an der Küche vorbei.
„Ah!“
Sein Magen zog sich zusammen. Er wusste genau, wessen Stimme das war, und versuchte, so schnell wie möglich weiterzugehen.
„Benjamin“, hörte er die sanfte Stimme der Nanny aus der Küche, „Sie können ihr nicht immer aus dem Weg gehen.“
„Ah“, machte Emma.
Er atmete tief durch und drehte sich dann zu Coco um, die mit seiner Tochter im Türrahmen stand. Die Kleine betrachtete ihn misstrauisch aus großen blauen Augen, während Coco ihn zu ermutigen schien, sich der Situation zu stellen. Noch hatte Emma nicht angefangen zu schreien. Vielleicht sammelte sie noch ihre Kräfte für den nächsten Ausbruch.
„Sie hat gerade gegessen und ist dann normalerweise gut gelaunt. Möchten Sie sie vielleicht mal nehmen?“
Auf gar keinen Fall, dachte er. Eine Klapperschlange war leichter zu händeln als dieses Kind. Er schob seinen Hut zurück und machte eine abwehrende Geste. „Ich habe mir noch nicht die Hände gewaschen.“
„Das macht doch nichts. Ein bisschen Dreck wird sie nicht umbringen.“
„Na gut.“ Er öffnete die Arme und bereitete sich innerlich bereits auf die Zurückweisung der Kleinen vor. „Ich versuch’s mal.“
Coco ging langsam auf ihn zu. Benjamin sah, dass sich Emmas Augen mit jedem Schritt, den sie ihm näherkam, angstvoll weiteten. „So, meine Süße“, flüsterte Coco dem Mädchen zu, „das hier ist dein großer starker Daddy, der immer auf dich aufpassen wird. Du brauchst überhaupt keine Angst zu haben.“
Sanft legte Coco ihm Emma in die Arme. Den Atem anhaltend, zog er die Kleine näher an seine Brust heran. Mit großen Augen sah sie zu ihm auf. Er fing leise an zu zählen. Eins, zwei drei, vier, fünf.
Emma presste die Lippen aufeinander und blickte zu Coco hinüber. Als Benjamin sah, dass die Unterlippe seiner Tochter zu zittern begann, wusste er, was kommen würde. Sie gab einen schrillen Laut von sich, der sich zu einem immer lauter werdenden Heulen steigerte. Er fing Cocos entmutigten Blick auf und schüttelte den Kopf.
„Hier“, sagte er und gab der Nanny das schreiende Kind zurück.