2.2 Umgang mit Disruption im 21. Jahrhundert
Wer überleben will, muss sich anpassen. Wer sich anpassen will, muss beobachten, hinhören, sich einfühlen, sprechen – also mit seiner Umgebung interagieren. Diese Umgebung verändert sich. Sie verändert sich ständig. »Niemand kann zweimal in denselben Fluss steigen« schrieb Heraklit schon rund 500 Jahre vor Christus.
Transformation geschieht seit jeher. Jederzeit und überall. Auch in der Sprache, wie wir in Kapitel 2.1.5 kurz skizziert haben. Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts wird allerorten verstärkt über Disruption, Transformation und agile Managementmethoden gesprochen. Was versprechen wir uns davon? Welche Auswirkungen hat das auf unser Miteinander? Was macht das mit unserer Sprache?
Könnte der ionische Philosoph Heraklit (520–460 v. Chr.) an unseren Diskussionen zu diesen Themen teilnehmen, würde er vermutlich amüsiert schmunzeln. Vor mehr als 2.500 Jahren hat er seine Annahme vom kreatürlichen Prozess des unaufhörlichen Wandels in der kurzen und nach wie vor populären Formel »panta rhei« (= alles fließt) verdichtet. Schon damals schien seiner Meinung nach nichts von Bestand und alles in seiner Existenz mehr oder weniger bedroht zu sein.
1997 beschreibt der US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Clayton M. Christensen in seinem Buch »The Innovators Dilemma« wie disruptive Innovationen konventionelle Geschäftsmodelle radikal ablösen oder zerstören. Als einen der zahlreichen Beispielmärkte benennt er die rasante technische Entwicklung der Unterhaltungselektronik während der letzten 30 Jahre. Von Schallplatten und Musikkassetten, über CDs, MP3-Player, Smartphones bis hin zu Streamingdiensten wie Spotify& Co., Blockchain, Solarenergie, E-Mobilität, Plattformökonomie und künstliche Intelligenz mischen disruptive Innovationen ganze Branchen auf und lassen keinen Stein auf dem anderen.
Ein paar Beispiele:
Wer ein kleines Taxiunternehmen hat, tat sicher gut daran, Uber, Bolt, Blacklane und andere Dienste dieser Art mit Argusaugen zu beobachten und sich in irgendeiner Weise mit ihnen zu verbinden oder selbst mit einem disruptiven Geschäftsmodell Fahrt aufzunehmen.
Wer ein Hotel betreibt, war gut beraten, mit Booking, HRS, Airbnb oder einem der anderen Reservierungssysteme zu kooperieren. Zumindest so lange, bis er selbst dank einer einzigartigen Positionierung eine neue Nische gefunden oder ein neues disruptives Geschäftsmodell erfunden hat.
Wer IT-Dienstleistungen nach dem Prinzip »Money for Menpower« anbietet, sollte sich intensiv mit skalierbaren Geschäftsmodellen beschäftigen und im besten Fall auch ein solches entwickeln. »Software as a Service«-Konzepte gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Und sie haben meiner Einschätzung nach immer noch unermesslich viel Potenzial. Wer aber nach wie vor Zeit und Codes für Geld verkauft, hat bald Sand im Getriebe.
Veränderungsprozesse dieser Art sind an sich nichts Neues. Neu ist lediglich die Geschwindigkeit, in der diese Disruption passiert und in der sich die daraus resultierenden Transformationen vollziehen. Und neu ist auch die Art und Weise, in der wir darüber sprechen.
2.2.1 Panikmache oder Akzeptanz der Veränderung
Im Jahr 2014 warf die Historikerin Jill Lepore in einem in der New York Times erschienenen Artikel Clayton M. Christensen Panikmache vor. Sie begründete ihren Vorwurf damit, dass nach ihren Untersuchungen die Kurve des Erfolgs der meisten disruptiven Innovationen und Geschäftsmodelle nach anfänglich steilem Anstieg bereits kurze Zeit später abflacht. Zahlreiche Erfolgsmodelle widersprechen dem: Allein die fünf großen Digitalunternehmen Apple, Amazon, Alphabet, Meta und Microsoft haben im ersten Quartal 2024 zusammen 96 Milliarden US-Dollar Gewinn erzielt.
Also kein Grund zur Panik? In nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen wird von Disruption gesprochen. Das Wort kommt aus dem Englischen und bedeutet Unterbrechung, Unruhe, Schaden, Zerstörung. Google findet das Wort »Disruption« 540 Millionen Mal (Dezember 2024). Nach Eingabe von »Competencies« zeigt uns Google lediglich 248 Millionen Ergebnisse an. Und suchen wir nach dem Gegenteil von Disruption, der »inkrementellen Veränderung«, werden wir nur noch 155 Millionen N