Die Herausforderung ist Vita Sackville-Wests zweiter Roman. Sie hat ihn von Mai1918 bis November1919 geschrieben; veröffentlicht wurde er jedoch erst1923, und zwar bei der George H. Doran Company in New York. In England ist er bis heute nicht erschienen, und es bedarf wohl einer kurzen Erklärung, warum eine junge Schriftstellerin, die sich durch ihre Lyrik bereits einen gewissen Namen gemacht hatte und deren erster Roman,Frühe Leidenschaft (1919), auf ungewöhnlich große Anerkennung gestoßen war, im allerletzten Moment, als die gedruckten Seiten schon aufgebunden werden sollten, sich plötzlich entschloss, ihre Zustimmung zur Veröffentlichung in England zurückzuziehen. Es kann nicht daran gelegen haben, dass sie den Roman für misslungen hielt. »Ganz egal, was Du sagst«, schrieb sie an ihren Ehemann, Harold Nicolson, »er istverdammt gut. Nun hast Dus. Wenn Du willst, kannst du mich für eingebildet halten. Aber ich bin zufrieden mit diesem Roman, wirklich zufrieden.« Nein, die Veröffentlichung wurde gestoppt, weil ihre Angehörigen und Freunde befürchteten, das Buch könnte einen Skandal heraufbeschwören.
Der Roman handelt nämlich von Vitas Geliebter, Violet Keppel (Trefusis). In meinem BuchPorträt einer Ehe: Vita Sackville-West und Harold Nicolson beschreibe ich, wie sich Vita und Violet – alte Freundinnen, die sich seit1904, also seit Vitas zwölftem und Violets zehntem Lebensjahr kannten – von jeher körperlich und intellektuell zueinander hingezogen fühlten und ihre schwelende Zuneigung sich1918 plötzlich in eine leidenschaftliche Stichflamme verwandelte, die drei Jahre lang heiß und verheerend lodern sollte. Beide waren verheiratet (Vita seit1913, Violet seit1919), doch selbst die engsten familiären Bindungen waren nicht stark genug, um diese Flamme zu löschen. Monatelang verkrochen sich die beiden in Monte Carlo. Im Februar1920 fassten sie den Entschluss, alle anderen Verpflichtungen ein für alle Mal hinter sich zu lassen und ihr künftiges Leben gemeinsam zu verbringen. Sie setzten sich nach Frankreich ab. In Amiens gelang es ihren beiden Ehemännern, sie einzuholen. Nach einem heftigen Schlagabtausch gegenseitiger Vorwürfe wurden die Ausreißerinnen schließlich zur Räson gebracht, und ihre Affäre verlief im Sande.
Die Druckfahnen derHerausforderung erreichten Vita in Paris, wo sie sich von den vorausgegangenen Strapazen erholte. Einen Großteil des Romans hatte sie in Monte Carlo auf dem Höhepunkt der Affäre mit Violet geschrieben, und die qualvolle Aufgabe, ihr Werk nun noch einmal durchsehen zu müssen, führte zu neuen emotionalen Erschütterungen.Die Herausforderung sollte Ausdruck ihres Trotzes sein, eine Rechtfertigung ihres Verhaltens. Sie wollte den Roman als Erinnerung an das, was sie erlitten hatte, veröffentlicht sehen, als ihre persönliche Bekundung, was Liebe sein konnte und sollte. Zuerst nannte sie ihr WerkRebellion, dannEnchantment (Zauber), dannVanity (Eitelkeit). Schließlich entschied sie sich fürChallenge (Herausforderung), eine Zusammenfassung all dessen, was sie vermitteln wollte.
Zum Widerruf der Veröffentlichung überredeten sie Lady Sackville (ihre Mutter), Alice Keppel (Violets Mutter) und, als unerwartete Verbündete, Mrs Belloc Lowndes. »Besuch bei Mrs Belloc Lowndes«, notierte Vita am15. März1920 in ihr Tagebuch. »Sie will, dass ichChallenge nicht veröffentliche. Sie fragte, ob ich es auch veröffentlichen würde, wenn Violet tot wäre? Das hat mich getroffen. Das Gerede der Leute ist mir egal. Aber ich gebe die Sache auf. Ich hoffe, Mama ist zufrieden. Diesmal hat sie gewonnen.« Im Tagebuch von Lady Sackville heißt es: »Vita ist sehr tapfer, obwohl sie bitter enttäuscht war, als Mrs Lowndes ihr erklärte, was für einen Skandal es heraufbeschwören würde.« Violets Entt