: Anders Engberg-Pedersen
: Martialische Ästhetik Wie der Krieg zu einer Kunstform wurde
: Konstanz University Press
: 9783835397712
: 1
: CHF 27.20
:
: Kulturgeschichte
: German
: 205
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das einundzwanzigste Jahrhundert ist Zeuge einer Militarisierung der Ästhetik, bei der Militäreinrichtungen die kreative Weltgestaltung der Kunst vereinnahmen und sie mit den zerstörerischen Kräften der Kriegsführung verschmelzen. In Martialische Ästhetik untersucht Anders Engberg-Pedersen die Ursprünge dieser Allianz und zeigt auf, dass die heutige kreative Kriegsführung lediglich eine historische Entwicklung fortsetzt. Die Entstehung der Kriegsästhetik geht auf eine Reihe von Erfindungen, Ideen und Debatten im achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhundert zurück. Schon damals übernahmen militärische Denker und Erfinder Ideen aus dem Bereich der Ästhetik über das Wesen, den Zweck und die Kraft der Kunst und formten sie zu innovativen Militärtechnologien und -theorien um. Krieg wurde nicht nur als praktische Kunst, sondern auch als ästhetische Form konzipiert. Das Buch zeigt, wie militärische Diskurse und frühe Kriegsmedien wie Sternkarten, Horoskope und das preußische Kriegsspiel mit Ideen von Kreativität, Genie, Philosophie und ästhetischen Theorien (von Denkern wie Leibniz, Baumgarten, Kant und Schiller) verwoben wurden, um die Entstehung einer kriegerischen Ästhetik nachzuzeichnen. Mit seinem historischen und theoretischen Ansatz bietet Martialische Ästhetik eine neue Perspektive für das Verständnis des Krieges im einundzwanzigsten Jahrhundert.

Anders Engberg-Pedersen ist Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität von Süddänemark. Im Mittelpunkt seiner Forschung stehen die kulturellen Formen der Kriegsführung vom 17. Jahrhundert bis heute. Sie umfassen die Bereiche Literatur, Ästhetik, Wissensgeschichte sowie Technik und Medien.

1 Astrologische Kriegsmedien


Im Winter 1634 lief in der böhmischen Stadt Pilsen Albrecht von Wallenstein, damals Generalissimus des Heiligen Römischen Reiches und Oberbefehlshaber der Truppen der Habsburger Monarchie, in seinem Zimmer auf und ab, während er über seine militärischen Optionen grübelte. Es war ein entscheidender Moment des Dreißigjährigen Krieges. Der schwedische Feind rückte näher; Wallenstein verlor mehr und mehr das Vertrauen seines Arbeitgebers, des Habsburger Kaisers Ferdinand II.; und selbst in den Reihen seines eigenen Heeres begannen Stimmen laut zu werden, die seine Führerschaft hinterfragten. All diese Bedrohungen spitzten sich zu, und Wallenstein war es deutlich bewusst, dass er handeln musste. In seinem Zimmer ersann er eine militärische Strategie nach der anderen, bis er mit einem ganzen Aufgebot potenzieller strategischer Szenarien jonglierte. Er musste nur eine auswählen. Doch welche?

Um Entscheidungshilfe zu erhalten, wandte sich Wallenstein an die Sterne. Seit alten Zeiten, angefangen in Mesopotamien, hatte die Wissenschaft der Astrologie einen integralen Bestandteil der militärischen Planung gebildet, und Wallenstein ist der letzte Befehlshaber, von dem bekannt ist, dass er die Astrologie in Kriegsangelegenheiten konsultierte. Sein Zimmer war vollgestopft mit Sternkarten, Quadranten, Globen und anderem astrologischen Gerät. Irgendwann blieb Wallenstein vor einem sogenanntenspeculum astrologicum stehen, einer schwarzen Tafel, die die Positionen der Planeten oder »Wandelsterne«, wie sie seit der Antike genannt wurden, anzeigte. Im Einklang mit der Wissenschaft der Astrologie glaubte Wallenstein, dass die Himmelskonstellationen – die besondere Position der Planeten zu einer bestimmten Zeit – Ereignisse der unmittelbaren Zukunft auf der Erde offenbarten. Während er dasspeculum astrologicum inspizierte, bemerkte er plötzlich, dass sich die Sterne in einer verheißungsvollen Konstellation aufgereiht hatten, und er rief aus: »Glückseliger Aspekt!« Die Zeit des Handelns war gekommen.

Diese Szene ist vollkommen ausgedacht. Sie erscheint in Friedrich Schillers dreiteiligem, 1799 abgeschlossenem DramaWallenstein.[21] Schiller konzentriert sich auf die letzten Tage in Wallensteins Leben, bevor er Ende Februar 1634 ermordet wurde. Doch wie Schiller sehr wohl wusste, hat die Szene einen berühmten geschichtlichen Hintergrund. Nicht nur war der historische Wallenstein tatsächlich der Wissenschaft der Astrologie sehr verbunden; er hatte auch eine berühmte Korrespondenz über Wesen und Macht der Astrologie mit einem der damals führenden Wissenschaftler begonnen – mit Johannes Kepler. 1608 hatte Kepler ein Horoskop für Wallenstein angefertigt.

Wallensteins Horoskop ist in zwölf aneinanderliegende Dreiecke unterteilt, die die Häuser des Tierkreises darstellen. Die räumliche Anordnung des Horoskops zeigt die genaue Position von Sonne, Mond und Planeten zur Zeit von Wallensteins Geburt. Aus der Beobachtung der verschiedenen Positionen und Konstellationen der Planeten kam Kepler zur Vorhersage einer Reihe von Ereignissen in Wallensteins Leben. Er kam zu dem Schluss, dass das Horoskop »nicht eine schlechte Nativität sei, sondern hochwichtige Zeichen habe«.[22] Wallenstein war aber nicht zufrieden. Mit den Jahren fühlte er, dass das Horoskop mit den Ereignissen in seinem Leben immer weniger synchron lief. Einige der vorhergesagten Lebensereignisse geschahen zu früh, andere zu spät. Darum bat er Kepler, das ursprüngliche Horoskop auf den aktuellen Stand zu bringen. Und nun verlangte Wallenstein neue und sehr konkre