: Arno Endler
: Die verschwundene Leiche Die Fälle der Charlotte Polson
: Dryas Verlag
: 9783986720803
: Die Fälle der Charlotte Polson
: 1
: CHF 7.00
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 300
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die schottischen Highlands. Atemberaubende Aussichten, Berge, das Meer, einsame Strände und zerklüftete Klippen. Charlotte liebt ihre Heimat, die Menschen und den Whisky. Mit ihren achtzig Jahren hat sie so einiges erlebt. Aber ein Toter? ... Hier? Beinahe vor ihrer Haustür? Dann verschwindet die Leiche und bevor jemand an ihrer Entdeckung zweifelt, beschließt die Betreiberin eines B&B, die Ermittlungen selbst in die Hand zu nehmen. Erstaunt muss sie feststellen, dass die langjährigen Freunde und Bekannten viele Geheimnisse hüten. Ist einer von ihnen ein Mörder?

Arno Endler, geboren als Sonntagskind 1965 in Neuwied, hat sich ab dem Jahr 2006 mit Schreiben beschäftigt. Er veröffentlichte zahlreiche Kurzgeschichten unterschiedlicher Genres, war bereits für Bastei-Lübbe und Pabel-Moewig als Serienautor tätig. Daneben schrieb er eigenständige Science-Fiction- und Tech-Thriller-Romane, die in verschiedenen Verlagen publiziert wurden. Zusammen mit seiner Frau genießt er die Ruhe des Landlebens im Hunsrück, nur gestört von Traktoren- und Motorsägenlärm.

Kapitel Eins


— Eine Heimkehrerin hört Nachrichten — Im Pub wird über Probleme diskutiert — Eine Influencerin sucht nach dem Netz — Im Old-McManor-House herrscht schlechte Stimmung — Scones werden gebacken — Der Sturm kommt —

 

Der Duft des Ginsters nahm sie gefangen. Durch das geöffnete Fenster ihres Mietwagens fegte der Geruch herein, durch sie hindurch und wärmte ihr Herz.

Mona hob den Fuß vom Gaspedal und ließ den klapprigen Wagen, der inzwischen drei Dellen mehr hatte, ausrollen. Sie bremste in einer der zahlreichen Haltebuchten ab, die für die Single-Line-Traffic-Road typisch waren, damit zwei Fahrzeuge aneinander vorbeikamen.

Noch befuhren nur wenige Touristen die Straßen, da die Hauptsaison erst bevorstand. Daher begegneten der jungen Frau so gut wie keine Autos.

Mona stellte auf P und drückte die Stop-Taste des Vauxhall. Der Motor erstarb und nun hörte sie es endlich:

Das Geräusch der Wellen unten an den Felsen, das Rauschen des Windes in den Bäumen und den dichten Büschen voller gelber Blütenblätter.

Sie stieg aus. Ein metallisches Quietschen der schlecht geölten Tür klang überlaut in ihren Ohren. Sie warf die Autotür zu, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Seite des Wagens und blickte sich um.

Das wohlige Gefühl, eine Mischung aus Entzücken und Erleichterung, übermannte sie beinahe. Wieder zurück. In der Wahlheimat, dem Schutzhafen Schottland. Zu dem Duft des Ginsters gesellte sich die frische Brise des Meeres.

Endlich weg vom Verkehrslärm und Gestank, den tausenden Menschen, die nur Hektik und miese Laune verbreiteten. Weg von Hamburg, wo nur die Erinnerungen an eine gescheiterte Ehe und eine furchtbar arrogante Scheidungsanwältin lauerten.

Möwen kreischten und jagten sich gegenseitig.

Mona lächelte. Am Horizont über der offenen See braute sich eine dunkle Wolkenmasse zusammen. Hier wechselte das Wetter schnell und man musste deshalb jeden Sonnenstrahl genießen.

Es wurde Zeit. Charlotte wartete sicherlich schon auf sie.

Wind kam auf, packte Monas lange braune Haare und wirbelte sie umher.

Sie stieg wieder in den Vauxhall und startete den Motor.

 

Das Radio sprang an und silberklare Harfenklänge füllten das Auto, bis sie endeten und eine Frauenstimme die eingetretene Stille ablöste. Sie betonte die Worte mit hartem Akzent, mehr walisisch als schottisch, aber dennoch sprach sie Loch wie Loch aus und nicht lock, wie es beinahe jeder in Großbritannien tat, außer den Schotten.

»Heimatkunde und Heimatnews mit Sally von Sender Four-o-four. Danke, dass ihr zuhört!«

Ein kurzer Jingle aus schottischen Bagpipes und Drums erklang, dann setzte die Radiomoderatorin wieder an: »Da leben wir nun, umgeben von Bergen und Loches inmitten einer der schönsten Landschaften. Nicht weit entfernt, befinden sich die Tourismusmagneten: Das Glenfinnan-Viadukt und Monument, das Eilean Donan Castle, die Road to the Isles und die Inseln Skye, Rum und Eigg. Doch verirren sich mehr als ein paar Hundert Besucher im Jahr zu uns? Nein. Trotz der grandiosen Schönheit der Natur, des Meeres, der Buchten, der Berge, Moore und dem Wild, das hier ungestört lebt.«

Eine Pause entstand. Die Frau holte tief Luft, als würde sie Anlauf nehmen, um von Klippe zu Klippe zu springen. »Die Zentralregierung in London kümmert sich nicht darum, schützt mehr oder weniger nur die Umwelt, was selbstverständlich auch gut ist, uns aber nicht weiterhilft. Die Übernachtungszahlen in den Lodges und den B&Bs sind weiter zurückgegangen. Trotz aller Bemühungen. Ich persönlich genieße die Einsamkeit und Ruhe. Für unsere Wirtschaft sind es doch Pluspunkte, Aktivposten, mit denen wir aus der Masse herausstechen. Aber es ist problematisch, wenn die Touristen uns links liegen lassen. Es sind nur wenige, die von den Reisenden leben, aber diese sehen sich einem Problem ausgesetzt.«

Ein leises Pfeifen erklang, mit dem die Sendung unterbrochen wurde.

»Dies sind die News für Lochaber. Es sind keine guten. Aber wann verkünden die Nachrichten schon mal Good News.«

Die Moderatorin setzte nach einer Pause erneut an: »Unser Paradies könnte bedroht sein. Ein lange Ferngebliebener ist zurück. Der Erbe des Hauses McManor ist back in town. Und ihr, meine lieben Zuhörer, wisst, was das bedeutet. Alte Rechnungen werden präsentiert, Schulden eingetrieben, Gefallen eingefordert. Bereitet euch vor. Ich bin Sally vom Sender Four-o-four, das Wetter wechselt auf stürmisch. Weiter geht es mit Musik.«

 

Mona fuhr mit gemäßigtem Tempo die Straße entlang. Ob die Wolkenwand über dem Meer schon von Sallys angekündigtem Sturm getrieben wurde?

Sie lenkte den Wagen in eine enge Rechtskurve, ein Reifen sackte in ein tiefes Schlagloch und es schepperte vernehmlich.

Mona machte sich jedoch mehr Gedanken um den Erben des Hauses McManor. Seit sie hier lebte, war der alte Herr von Old-McManor-House noch nie vor Ort gewesen. Drei Angestellte wohnten dort und hielten Anwesen und Garten in Ordnung. Martha Bientowitz war ihr eine gute Freundin geworden und das, obwohl ihr Ehemann Tymi ein recht zwielichtiger Mensch zu sein schien.

Der dritte im Bunde kümmerte sich um die Grünanlagen des herrschaftlichen Anwesens. Peter, der in jeder Siebzigerjahre-Brit-Crime-Serie als Ermittler durchgegangen wäre.

Auch er war immer nett zu Mona gewesen und beherrschte sogar ein paar Brocken Deutsch. Er versorgte Charlottes und Monas B&B mit frischem Gemüse und Salat aus dem Garten des Old-McManor-Houses.

Jetzt trat ein Erbe auf den Plan. Das würde Unruhe bringen. Und wenn die Bewohner dieses einsamen Landstriches eines wussten, dann, dass Unruhe nicht gut war.

In der nächsten engen Rechtskurve klapperte es vernehmlich vorne rechts. Die Straße verbreiterte sich danach, die Aussicht öffnete sich hin zum Meer. In Sichtweite lag die Tankstelle mit dem angeschlossenen kleinen Tesco-Supermarkt.

Mona steuerte den Vauxhall auf den Parkplatz, stoppte und stieg aus.

Die Automatiktüren der Tankstelle glitten zur Seite und Sophie Hall trat heraus. »Mona!«, grüßte sie die Wahlschottin. Seitdem sie zusammen mit Charlie das B&B betrieb, waren die Sympathien, die Charlotte entgegengebracht wurden, zum Teil auch auf sie übergegangen. Niemand störte sich an Monas deutschem Akzent, jeder freute sich, dass Charlotte Gesellschaft hatte.

»Hi, Soph«, erwiderte Mona den Gruß und beugte sich herunter, um in den Radkasten des vorderen rechten Rads zu spähen.

»Was ist geschehen?«, fragte Hall, deren kurze blonden Haare im Sonnenlicht leuchteten.

»Schlagloch. Es klappert.« Mona sah, dass der Kotflügel ein wenig verrutscht war.

»Nichts, was man mit Panzertape nicht fixen könnte.« Hall inspizierte die losen Teile. »Ich mach das schon.« Sie lächelte. »Und du solltest schnell nach Hause. Charlotte macht sich sicher schon Sorgen, denn es zieht ein Unwetter auf.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Charlotte sich vor einem Sturm sorgt. Es wird nicht der erste sein«, meinte Mona.

»O ja. Das ist richtig. Und ich denke, sie sorgt sich mehr um dich als um sich selbst. Dennoch ist jedem hier wohler, wenn du bei ihr bist. Sie ist nicht mehr die Jüngste.«

»Aber wettererprobt.«

»Wetterfest. Stimmt. Ja. Ich hole das Tape.«

 

Karg eingerichtet und zu dunkel. Es war die einzige Bewertung in einem der zahllosen Pub-Guides und die lag auch schon einige Jährchen zurück. The Pirates Parrot!

Doch obwohl der Besitzer gewechselt hatte, die Zeit gerast und das Internet alles verändert hatte, bis auf das Leben der Menschen in den abgelegensten Regionen der Highlands, hätte jeder dieser abfälligen Aussage wahrscheinlich zugestimmt.

Zwei Flachbildfernseher von minderer Qualität hingen an den Seitenwänden und wirkten wie schwarze Löcher, in die sämtliches Licht hineingesogen wurde.

Hinter dem Tresen putzte Connor Askaig Gläser und stellte sie zurück in die Schränke. Musik drang aus der schmalen Durchreiche zur Küche. Eine Sängerin war zu hören, die auf Gälisch eine Ballade vortrug. Connor summte die Melodie falsch mit.

Ein Touripärchen, Studenten, wie Connor vermutete, saßen an einem der...