Der Abend der Eröffnung
EDDIE
Es ist kurz vor Mitternacht. Meine Schicht ist fast zu Ende. Die Gäste sind immer noch beim Cocktailempfang, weshalb es drinnen in der Hotelbar leer ist. Ich verstaue Gläser in den Regalen und höre dabei Rita Ora über meine Kopfhörer. Die Jungs aus der Rugbymannschaft haben mich wegen meines Musikgeschmacks immer verarscht, aber »I’ll Be There« hat mir heute echt dabei geholfen, mich durch Berge von schmutzigen Tellern und Gläsern zu kämpfen – sie einzuräumen, abzuspülen, auszuladen … nur um gleich wieder von vorne anzufangen, da das Geschirr vom Seashard (dem hausinternen Restaurant) in einem fort bei mir abgeladen wird. Ich konnte einen Blick aufs Essen werfen, bevor es rausging – es sah fantastisch aus –, doch jetzt erinnert mich das Zeug auf den Tellern eher an Schweinefutter. Zwar habe ich Hunger, verspüre aber nicht die leiseste Versuchung, einen Bissen abzuzweigen.
Da das Hotel inzwischen voll belegt ist, findet heute auch meine erste richtige Schicht statt. Den Dreh mit dem Sprühschlauch habe ich immer noch nicht raus, dafür habe ich es gleich zweimal geschafft, meine Schuhe damit einzuweichen. Alle Angestellten hier im Manor tragen Sneaker, da eine »ungezwungene Atmosphäre« herrschen soll. Nur dass es sich bei den Tretern um Common Projects handelt, die ich mir nie im Leben selbst kaufen würde, weil sie ungefähr das Dreifache meines Wochenlohns kosten.
Ich erschrecke, als mir jemand einen der Kopfhörer vom Ohr hebt. Aber es ist nur Ruby, meine nette Kollegin von der Rezeption.
»Alles klar bei dir, Ed? Ich wollte mir eine Cola holen.«
Ich greife in den Kühlschrank und reiche ihr eine Dose.
»Ich brauche echt einen Schuss Koffein«, sagt sie. »Bin fix und alle von dem Dauerlächeln den ganzen Tag.«
Ruby ist aus London hergezogen. Die meisten Stellen mit direktem Gästekontakt gingen an Leute von auswärts wie sie, die Berufserfahrung (sie arbeitete davor in irgendeinem Fünf-Sterne-Hotel namens Chiltern Firehouse) und den richtigen Akzent mitbrachten.
Ein Mann in pastellrosa Anzug und schnieken Turnschuhen kommt hereinspaziert. »Haben Sie einen Fünfundzwanziger-Macallan da?« Sein Blick schweift zu dem Regal mit den Whiskys hinter mir. »Nur einen Achtzehner? Hm.« Sichtlich enttäuscht zieht er wieder ab.
Ruby nippt an ihrer Cola. Sobald der Typ außer Hörweite ist, murmelt sie: »Hast du bei manchen Männern auch das Gefühl, ihre gesamte Persönlichkeit erschöpft sich darin, ein reicher weißer Hohlkopf zu sein?« Sie nimmt einen großen Schluck. »Ich glaub, die meisten von denen bleiben übers Wochenende.«
Ruby ist eine der wenigen nicht-weißen Angestellten hier – ihr Vater stammt aus Trinidad. Wenn sie nicht gerade in ihren Arbeitsklamotten steckt, trägt sie einen Ledertrenchcoat und dazu eine kleine Brille im Matrixstil. Und wenn sie nicht gleichzeitig so supernett und ziemlich schlau wäre – sie fängt bald ein Englischstudium in Exeter an –, fände ich sie wahrscheinlich viel zu hübsch und zu cool, um mit ihr zu quatschen. Davon mal abgesehen, ist es völlig ausgeschlossen, dass sie auf strohdumme Dorseter Bauernjungs steht, weshalb ich ohnehin keine Chance hätte, bei ihr zu landen.
Nachdem Ruby weg ist, dimme ich das Licht ein bisschen, drehe die Musik wieder auf und verfalle in meinen früheren Rhythmus, während ich Longdrinkgläser und Tumbler, Martinigläser und Champagnerschalen einräume. Ich spiele ein kleines Spiel, wenn ich das Zeug in den Geschirrspüler lade: anhand von Geruch und Farbe der Getränkereste den Cocktail zu erraten. Klingt womöglich öde, aber ich betrachte es als Übung, weil ich glaube, dass ein guter Barkeeper dazu in der Lage wäre. Die Spezialität der Hotelbar heißt »The Manor Mule« und besteht aus Grapefruit, Ingwer, Wodka und einem SchussCBD-Öl – das Zeug hauen sie hier praktisch überall rein.
Jedenfalls scheint das Aushelfen auf dem väterlichen Bauernhof zu nichts weiter als zu