Leben im weiten Horizont
Vera von Trott zu Solz und die Kommunität Imshausen
Imshausen, ein kleines osthessisches Dorf zwischen Bebra und der ehemaligen Grenze zur DDR, ist Heimat der hessischen Adelsfamilie von Trott zu Solz. Seit über 700 Jahren sind ihre Vorfahren im Solztal ansässig. Im 20. Jahrhundert haben zwei Mitglieder der Familie Spuren hinterlassen, die bis heute weiterwirken: Vera von Trott zu Solz (1906–1991), Gründerin der Kommunität Imshausen, und ihr drei Jahre jüngerer Bruder Adam von Trott zu Solz (1909–1944), Jurist und wegen seiner Beteiligung am gescheiterten Attentat gegen Hitler vom 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt und am 25. August 1944 in Berlin-Plötzensee ermordet. Während Adam von Trott heute einen festen Platz in der Erinnerungskultur an den deutschen Widerstand gegen das NS-Regime hat, ist das Lebenszeugnis seiner Schwester Vera von Trott nur wenigen Menschen bekannt, vor allem in geistlichen Gemeinschaften in Deutschland und in der Ökumene. Die hier vorgestellte Skizze folgt wichtigen Stationen ihres Lebensweges und unterstreicht ihre herausragende Bedeutung für die Kommunität Imshausen.8
Biografische Zugänge
Vera von Trott zu Solz wird am 1. Juni 1906 als drittes von acht Kindern des Oberpräsidenten von Brandenburg, August von Trott zu Solz und seiner Frau Eleonore geb. von Schweinitz in Potsdam geboren. Der Vater ist von 1909 bis 1917 preussischer Kultusminister. Mit dem Ruhestand des Vaters siedelt die Familie 1919 nach Imshausen über. Vera beendet ihre Schulzeit mit der Mittleren Reife 1922 in Kassel.
1927/28 nimmt sie an einem Jahreskurs der „Bibel- und Jugendführerschulung“ am evangelischen Burckhardthaus in Berlin-Dahlem teil. Hier werden junge Frauen für die Arbeit mit Mädchen und Frauen in den Gemeinden ausgebildet. Von 1928 bis 1935 engagiert sie sich in der „Gutstöchterarbeit“ ihrer Heimatregion. Ehrenamtlich tätige Frauen sollen mit Kindern und Jugendlichen von den Gütern Gemeinschaftserlebnisse schaffen, ein einfaches Leben einüben und Begegnungen mit der Bibel ermöglichen. Wichtige Erfahrungen sammelt Vera auch in ihrem Einsatz für die Dorfkinder in Imshausen.
1934 beginnt ein intensiver Briefwechsel mit Eberhard Eisenberg, einem befreundeten Pfarrer in Lohra bei Marburg. In der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, ausgelöst durch den Kirchenkampf des NS-Regimes um die Gemeinden, sucht sie nach Orientierung. Die 28-Jährige formuliert ihre Position: „Was ist das für eine Zeit heute, dieser Strom des Dämonischen, der offenbar oder vermaskiert über die Menschen weggeht und sie mitreißt […]. Und das Schrecklichste ist, dass der ‚alt böse Feind‘ selbst denen, die von Christus wissen, dauernd Sand in die Augen streut […].“
Der Hass des NS-Regimes gegen die Juden veranlasst Vera 1935 zu kritischen Rückfragen an die Christen: „Was ist die Judenfrage jetzt tatsächlich für ein Fluch für uns geworden, zum Gericht! Und drängt doch nur hin, dass auch die Christusfrage Gericht für uns wird.“ Im Oktober 1938 trifft sie während einer Bahnfahrt nach Bebra auf eine Gruppe jüdischer Menschen, die nach furchtbaren Wochen sogenannter ‚Schutzhaft‘ aus dem KZ Buchenwald entlassen wurden. Diese Begegnung erschüttert sie tief. Ihr Fazit: „Das tun wir. Wie können wir da noch weiter leben und arbeiten wie vorher?“
Dank der Unterstützung einer Tante kommt es 1937 zur Anmietung der „Untermühle“, einem Gehöft zwischen Imshausen und Solz, für Veras Arbeit mit den Kindern. Ostern 1937 findet die erste Kinderfreizeit statt. Die Untermühle wird zum Experimentier-Labor für künftige gemeinschaftliche Lebensformen und fasziniert zahl