: William Boyd
: Brennender Mond
: Kampa Verlag
: 9783311705659
: 1
: CHF 17.80
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 384
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Gabriel Dax' Nächte sind kurz. Seit seiner Kindheit leidet er unter Albträumen: Erinnerungen an jene verhängnisvolle Nacht, in der seine Mutter und sein Elternhaus einem verheerenden Brand zum Opfer fielen. Seiner Schlaflosigkeit zum Trotz ist der gefeierte Reiseschriftsteller aus Chelsea auf der ganzen Welt unterwegs - einer vom Kalten Krieg zerrissenen Welt. In Zentralafrika bietet sich ihm die exklusive Gelegenheit, den ersten Ministerpräsidenten des erst seit Kurzem unabhängigen Kongo zu interviewen. Dax wittert eine große Story, doch dann verschwindet Patrice Lumumba kurz nach ihrem Gespräch spurlos. Für die britische Presse ist der afrikanische Politiker damit auf einen Schlag Schnee von gestern, stattdessen aber haben plötzlich diverse Geheimdienste Interesse an Dax' Aufzeichnungen, allen voran die mysteriöse Agentin Faith Green, deren Charme Dax bald zum Verhängnis wird. Er ahnt: Lumumba hat in dem Gespräch mehr offenbart, als so manchem lieb ist.

William Boyd, 1952 als Sohn schottischer Eltern in Ghana geboren, ist dort und in Nigeria aufgewachsen, bevor er in Großbritannien zur Schule ging und studierte. Dass er sich in keiner Kultur ganz zu Hause fühlt, sei für einen Schriftsteller eine gute Voraussetzung, sagt Boyd. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1981, heute gilt er als einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Erzähler der zeitgenössischen Literatur. William Boyd lebt mit seiner Frau in London und im südfranzösischen Bergerac, wo er auch Wein anbaut. Wo immer er sich gerade aufhält - er geht für sein Leben gern spazieren.

Erster TeilLéopoldville
London
Madrid
Cádiz


196061

1Diktatorenland


Es war ein feuchtheißer Augusttag in Léopoldville, inder seit Kurzem unabhängigen Republik Kongo. Gabriel Dax spähte über den gewaltigen, trüben Kongo-Fluss, hinüber in Richtung Brazzaville am anderen, meilenweit entfernten Ufer, dessen Gebäude nur verschwommen zu erkennen waren, wie verschleiert durch den Hitzedunst und die Ferne, einer mythischen Stadt im Hintergrund eines Renaissanceporträts nicht unähnlich. Der Fluss war grün wie Kanonenmetall, trotz des blassblauen, wolkenlosen Himmels. Er war tief, der Kongo, und seine Farbe änderte sich eigentlich nie, mochte der Himmel darüber nun azurblau sein oder dräuend grau.

Gabriel stand auf dem wimmelnden Boulevard, der entlang der Kais verlief, umgeben von Lärm und Trubel wie auf einem Jahrmarkt – beschleunigende Fahrzeuge, Hupen, Geschrei, Pfiffe. Wie breit war der Kongo hier?, überlegte er vage, gefolgt von dem Gedanken, dass er darauf eine genaue Antwort finden müsste. Zehn Meilen, fünfzehn? Eher ein See als ein großer Fluss, dachte er, während er den geschäftigen, rastlosen Schiffsverkehr betrachtete – Fischer in schmalen Holzkanus, brummende Schnellboote, die Fähren, die massig und schwerfällig zwischen den Ufern hin- und herpendelten, an denen sich die Zwillingshauptstädte gegenüberstanden.

Er sah auf die Uhr. Aus Nervosität war er früh dran. Thibault hatte diesen neutralen Treffpunkt vorgeschlagen, anstelle des Hotels, wo es womöglich nicht unbemerkt geblieben wäre, wenn er in ein Regierungsfahrzeug einstieg. Geh runter zu den Kais und warte dort an dem großen Frangipani-Baum in der Rue Victor Hugo, hatte Thibault ihm erklärt, ich hole dich dort um drei Uhr ab. Gabriel stand im getüpfelten Schatten des Frangipani, wo eine Brise sein Haar befingerte, wobei aber die Windstöße warm und feucht waren, verflüssigend beinahe, dachte er. Der Duft der sonnengewärmten Blüten umgab ihn so dicht und intensiv, dass er förmlich mit Händen zu greifen war. Hausierer und Straßenhändler hatten vergebens versucht, ihm Kulis, Kämme, Schlüsselanhänger, Talismane, Schnürsenkel, Armbanduhren, Obst und Zuckerwerk zu verkaufen, doch nun hatte er Durst. Zeit für ein kaltes Bier. Seine lederne Reisetasche mit dem Tonbandgerät hatte er zwischen seinen Füßen abgestellt, und er bereute bereits, dass er sich entschieden hatte, eine Krawatte umzubinden. Einen Premierminister allerdings interviewte man schließlich nicht alle Tage. Er fand, dass er so weit präsentabel aussah, in seinem kurzärmeligen weißen Aertex-Hemd, der Hose aus leichtem, tropentauglichem grauen Flanell und den frisch gebürsteten Wildlederschuhen – jeder Zoll der seriöse, verantwortungsbewusste Journalist für eine große britische Tageszeitung.

Dann sah er den schwarzen CitroënDS, der auf dem Boulevard gemächlich auf ihn zusteuerte. Der Wagen hielt kurz an, und die hintere Tür schwang auf. Gabriel griff nach seine