1Mona. Höfliche Liebe
Ich lobe das Gold unter meinen Augendeckeln. Das Schnurren eines Küchengeräts im Nachbarhaus. Den Geruch des alten Teebeutels. Amselmännchens Wiederholungen. Den sanft wachsenden Hunger. Mein innerliches Singen. Das Anrücken eines weiteren Tags. Die Stille von der Straße. Meine schlafenden schlechten Gewissen. Die Freude auf nichts Besonderes. Die Urlaubsgrüße meiner Hoffnungen. Die Möglichkeit eines Hausgespensts. Die Anfänge von Ricks Anrufen. Das Nachkosten eines Einfalls. Felices Mut, zu verschwinden. Meinen mir treu bleibenden Übermut. Die Innigkeit zwischen den beiden abgestreiften Socken. Die Erinnerung an Campari auf der Zunge. Die Gabe des Vergessens. Das ewige Licht der Tastaturmaus.
Mit einem großen Stein schlägt Mona den Vogel tot. Sie hatte ihn mit einem Lappen aufgehoben, durch den Lappen hindurch seinen zuckenden Flügel gespürt, ist zum Steinhaufen gerannt. Jetzt ist er still. Und Mona sieht, was er war: eine Meise, eine langweilige Kohlmeise. Die Katz hat sich verzogen. Wenn sie etwas fängt, frisst sie es nicht. Mona fährt mit dem Zeigefinger über den Vogelflügel. So etwas Feines gibt es selten zu streicheln.
Es war Rick, der die Katz ins Haus geholt hat, das war vor neun Jahren. Eines Abends ist er heimgekommen, die Katz im Arm, und hat sie in der Küche auf den Boden gesetzt. Da hast du was, hat er gesagt, sie streunt seit Tagen herum. Ich glaube, die will zu uns. Wie klein sie da noch war, die Katz. Mona schmolz gleich das Herz weg. Ja, und dann blieb die Katz, bekam Futter und nie einen Namen. Sie blieb, weil niemand sie suchte.
Bleiben, weil niemand einen sucht. Ist doch auch ein Grund.
Soll sie Rick vom Vogel und vom Stein erzählen? Früher hätte sie sich das nicht überlegt. Hätte einfach drauflosgeredet. Aber heute malt sie sich oft aus, wie er auf etwas reagieren wird. Gelassen oder gereizt. Sie wird nichts sagen. Sie will nicht hören, dass er etwas von Totschlagen sagt. Dass er später irgendwo sagt: Meine Frau schlägt Vögel tot.
Als sie kürzlich an einer Vernissage mit dem Galeristen redete, hörte sie mit dem linken Ohr, wie Rick jemandem die Geschichte vom Einbruch erzählte, wie sie die eingedrückte Balkontür entdeckt und dann registriert hatten, was alles gestohlen worden war. »Meine Frau zitterte vor Angst«, sagte Rick. Sie hatte nicht vor Angst gezittert, sondern vor Wut. Vor Wut, weil Rick es abgestritten hatte, die Balkontür nicht richtig geschlossen zu haben. Weil Rick nur ein Achselzucken dafür übrig hatte, dass das kleine Jade-Pferd von Monas Großmutter verschwunden war. Dass er sagte, seine teure Taschenlampe sei auch weg, die habe fünfundachtzig Euro gekostet in Konstanz. Dass er sagte, die teure Versicherungsprämie lohne sich jetzt endlich einmal. Keine Versicherung konnte das Pferdchen vergüten, Großmutter hatte es Mona als Glücksbringer geschenkt. Darum hatte sie gezittert. Vor Wut. Aber Rick verbiegt mit Leichtigkeit so manches. Wenn sie ihn darauf hinweist, gibt es Streit. Also schweigt sie.
Der Galerist redete auf sie ein. »Ich liebe die Fäulnis im reifen Werk«, sagte er. Ach, du Kotzbrocken, dachte Mona.
Vor einem halben Jahr haben sie beschlossen, das Haus in Maters renovieren zu lassen, es Schritt um Schritt wieder bewohnbar zu machen. Es hat Ricks Vater gehört, der hatte es von seiner Schwester Maria geerbt, hat es »die Hütte« genannt und nach Marias Tod nie betreten. Jetzt ist er auch tot. Und jetzt ist das Haus Monas Glück: Sie kann nach Maters abhauen, wann immer sie will.
Rick hat eingesehen, dass es wichtig ist, den Handwerkern auf die Finger zu schauen. Erst ist Mona nur für einen Tag hingefahren, und jetzt, seit das Wasser wieder läuft und der Strom funktioniert, bleibt sie länger. Sie schläft in der Stube auf einer Matratze, sie arbeitet am alten Stubentisch, macht Homeoffice, sie hat ja schon vorher von zu Hause aus gearbeitet. Eine Dusche gibt es noch nicht, aber Internet. Der mürrische Elektriker aus dem Dorf hat ihr dazu verholfen. An Zoom-Sitzungen wirkt die dunkle Holzwand hinter ihr wunderschön. Den verfaulten unteren Teil sieht man nicht. Wasserschaden, hat der Elektriker gesagt, die Wand muss raus. Mona lässt sich Zeit damit. Je länger die Renovierungsarbeiten dauern, desto besser. Bis sich im ersten Stock ein Schlafzimmer einrichten lässt, werden noch Monate vergehen. Ein neues Leben hat sich eingependelt. Maters ist für Montag, Dienstag, Mittwoch. Die restliche Woche ist für Rick. Und für die Katz.
Es schaut so aus, als ob Rick nichts dagegen hätte. Mon