: Alfred Bodenheimer
: Das Ende vom Lied Ein Fall für Rabbi Klein
: Atlantis Literatur
: 9783715275635
: Ein Fall für Rabbi Klein
: 1
: CHF 13.40
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: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Als im Bahnhof Enge eine Frau vom Zug überfahren wird, ahnt Rabbi Klein bald, dass es weder Selbstmord noch ein Unfall war. Er hat die Tote gut gekannt: Carmen Singer war ein aktives Mitglied der Cultusgemeinde in Zürich, aber auch eine mehr als anstrengende Frau, die seine Nerven des Öfteren strapaziert hat. Nach ihrem gewaltsamen Tod gerät Rabbi Kleins engstes Umfeld ins Visier der ermittelnden Kommissarin Bänziger. Doch auch Klein ist dem Verbrechen auf der Spur. Hat sein ehemaliger Förderer, der langjährige Präsident der Gemeinde, etwas zu verbergen? Und was hat die wohlhabende Julia Scheurer, deren Vater ergreifende Liebesbriefe an seine verstorbene Frau schrieb, mit der Sache zu tun? Was Klein seiner Tochter aus den Weisheiten des Talmud zitiert, bewahrheitet sich: Eine gute Tat zieht weitere gute Taten nach sich, eine Gesetzesübertretung weitere Übertretungen.

Alfred Bodenheimer, geboren 1965 in Basel, muss das literarische Schreiben wegen seiner Arbeit als Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Universität Basel auf wenige Wochen im Jahr beschränken. Dann aber fühlt er sich, als würde sich ein Ventil ungebremster Kreativität öffnen. Oft unterwegs zwischen der Schweiz und Israel, wo seine Familie lebt, sieht er sich als Pendler zwischen zwei Welten, was seinen Blick für beide Länder und Gesellschaften schärfe. 

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Liebe Elisabeth,

wenn Du mich heute hättest sehen können! Zum ersten Mal wieder im weißen Kittel unterwegs, das Stethoskop in der Tasche.

Den ganzen Tag wandelte ich wie auf Wolken und schwankte zwischen Lachen über das wiedergewonnene Glück, in einem richtigen, wenn auch klitzekleinen Krankenhaus Patienten behandeln zu dürfen, und Weinen in Trauer um Dich, mit der ich das nicht mehr teilen darf.

Wie ich Dir schon geschrieben habe, steht mir noch ein langer Weg bevor – die Ausbildung zum Traumatologen wird noch zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen. Aber ich spüre das Vertrauen von Doktor Fueter, und er hat heute, als wir uns im Korridor begegneten, wiederholt, dass er sich darauf freut, hier einmal eine Abteilung für Traumatologie stehen zu sehen, deren Leiter ich wäre. Er rechnet ja damit, dass in wenigen Jahren wieder Touristen hierher zum Skilaufen kommen. »Da werden dann schon genug Arm- und Beinbrüche anfallen, machen Sie sich keine Sorgen«, hat er mir aufmunternd gesagt, mit seinem breiten Akzent. Die Schweizer pflegen zuweilen einen eigenartigen Pragmatismus.

Ich sinke jetzt ins Bett. Dieser Tag mit all seinen neuen Gefühlen und Aufgaben war doch sehr ermüdend. Wie immer denke ich an Dich in meiner engen Kammer, die ich in den nächsten Wochen durch eine bequemere Wohnung zu ersetzen hoffe.

In grenzenloser Liebe

Dein H.

So kalt, wussten die Medien zu berichten, war es seit mehr als fünfzig Jahren nicht mehr gewesen. Die lokalen Zeitungen holten die Fotos von der Seegfrörni aus dem Archiv, als die Zürcher1963 auf dem See Schlittschuh liefen. Die kleinen Seen in der Umgebung der Stadt, der Katzensee, der Türlersee, selbst der Greifensee waren bereits zum Betreten freigegeben.

Das Auto stotterte bloß. Drei, vier Versuche unternahm Gabriel Klein, dann gab er es auf. Als er die Pannenhilfe anrief, wurde ihm beschieden, man könne ihm frühestens in drei Stunden Hilfe schicken – Ausnahmezustand. Er solle wenn möglich die öffentlichen Verkehrsmittel benützen. »Wenn Sie können, lassen Sie das Auto einfach stehen, bis es wärmer ist. Das hilft womöglich schon.« Sie mussten tatsächlich ziemlich am Anschlag sein, wenn sie solche Tipps gaben.

Seit Langem hatte Rivka moniert, sie bräuchten einen Garagenplatz, doch Klein hatte sich dem immer widersetzt. »Bei den Mieten in unserer Gegend zahlen wir in einem Jahr mehr, als das ganze Auto wert ist«, hatte er ihr gesagt. Mochte sein – jedenfalls musste er jetzt nach Bern den Zug nehmen.

Er hatte aus Bern auch gleich seine Schwiegereltern, die dort wohnten, nach Zürich mitnehmen wollen. Zum Glück hatte Rivka das gestern schon getan, als das Auto noch funktionierte. Er hatte das zuerst übertrieben gefunden – wenn er heute doch hinfuhr, hatte er gemeint, dann könne er sie mitnehmen. Der Flug nach London ging ja erst morgen früh. Doch Rivka kannte die Ängste und die Unbeweglichkeit ihrer Eltern. Wenn sie morgen früh schon um fünf Uhr aufstehen mussten, um den Flieger zu bekommen, dann sollten sie wenigstens heute in Zürich einen geruhsamen Tag zur Vorbereitung haben.

Rivka hatte sich auf die Reise gefreut. Sie hatte ihren Bruder in London länger nicht besucht, und da ihre Eltern die Reise zur Barmizwa ihres Enkels davon abhängig machten, dass sie mitkommen würde, war ihr der Entschluss nicht schwergefallen. Doch je näher die Reise rückte, desto nervöser wurde sie – eine Mischung aus Angst, vor allem um ihren gebrechlichen Vater, aus Bedauern, Klein und die Töchter in Zürich zurückzulassen, und aus Vorfreude und Unbehagen vor einem Schabbat in der ziemlich m