: Gabriela Kasperski
: Roulette der Gebeine Ein Fall für den Friedhofsgärtner
: Atlantis Literatur
: 9783715275666
: Ein Fall für Friedhofsgärtner Paul Blom
: 1
: CHF 13.40
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Paul Blom, Anwalt für Wirtschafts- und Erbrecht und Friedhofsgärtner in Ausbildung, wird von einem jungen Mann aus Dublin aufgesucht: Stephan Dedalus ist getrieben von der Idee, dass die sterblichen Überreste von James Joyce nach Irland gehören. Der weltbekannte Literat wurde auf dem Zürcher Friedhof Fluntern beerdigt, die jahrelange Debatte über eine mögliche Exhumierung durch einen neu aufgetauchten Testament-Zusatz angestachelt: Joyce soll sich eine Beerdigung in Dublin gewünscht haben. Als sein neuer Mandant nicht zum vereinbarten Treffen auf dem Friedhof erscheint, ist Blom alarmiert. Hilfesuchend wendet er sich an Ruby Kosa. Die junge Archäologin und Historikerin heftet sich an die Fersen des Schweizer Performancekünstlers Sam Koonz, der Joyce auf dem Dubliner Glasnevin Cemetery auferstehen lassen will. Der Kampf um die Knochen ist entbrannt.

Gabriela Kasperski studierte Anglistik und war Radio- und Fernsehmoderatorin, Schauspielerin, Sprecherin und Dozentin, bevor sie ihren Kindheitstraum verwirklichte, Schriftstellerin zu werden. Heute erobern ihre Krimis die Schweizer Bestsellerliste verlässlich im Sturm, mit der Kinderbuchreihe um das Mädchen Yeshi ist sie viel in Schulen unterwegs. Ihre Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet und nominiert, u. a. für den Schweizer Krimipreis. 2024 wurde sie (für Zürcher Verrat) mit dem Zürcher Krimipreis geehrt. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.

Zweites Kapitel


Als Ruby Kosa die Nachricht von Paul Blom las, befandsie sich auf einer Ausgrabungsstätte in der Nähe des Bahnhofs Paddington.

James Joyce, schrieb sie zurück.Du meinst diesen Schriftsteller-Dude aus Dublin? Was fragst du mich? Bei euch in Zürich gibts eine Joyce-Stiftung. Der Leiter ist ein weltbekannter Experte. Der weiß besser Bescheid als ich.

Trotzdem las sie kurz einige Quellentexte zu James Joyce an und speicherte alles ab, bevor sie das Handy verstaute, eine Wasserflasche leer trank, eine Pille einschmiss, eine Leiter hinunterkletterte und sich im Licht ihrer Stirnlampe zurück in den Stollen begab. Auf einem aufgeklappten Tisch lagen ihre Werkzeuge bereit: Skalpell, Löffel und mehrere Pinsel. Sie griff zu einem kleinen Spaten und begann, den nächsten Abschnitt Erde zu lockern.

Im Rahmen der Erweiterung des Paddington-Bahnhofs war man bei den Aushubarbeiten hinter einer verschütteten Ziegelmauer auf einen bislang unbekannten Tunnelarm eines unterirdischen Postversandsystems der Royal Mail aus dem letzten Jahrhundert gestoßen. Die postalische Welt unter dem Boden war weitläufig, sie bestand nicht nur aus Schienen, Tunneln und Zügen, sondern auch aus Aufenthaltsräumen. Obwohl das System gut erforscht war, hatte niemand etwas von dem Tunnelarm gewusst. Entsprechend groß war die Aufregung unter Historikern und Archäologinnen, während sich Bauherren vor allem ärgerten. Der National Heritage Fund schrieb nämlich in einem solchen Fall vor, dass die Bautätigkeit gestoppt werden musste, bis das ganze Terrain nach historisch wertvollen Artefakten abgesucht worden war. Den Zuschlag für diesen Auftrag hatte Rubys Arbeitgeber, die Firma Public Past History, bekommen. Der Job beiPPH sicherte ihr ein regelmäßiges Einkommen, das Voraussetzung war, um an ein Hypothekendarlehen für junge Leute unter dreißig zu kommen. Und Ruby brauchte eines. Das Fünf-Quadratmeter-Zimmer ohne Fenster und Heizung in der Wohnung über der mütterlichen Wäscherei teilte sie mit einem Kater und einem Berg Bügelwäsche. Ruby musste da weg. Ihre Mam hatte die bucklige Verwandtschaft in Polen überlebt, sie würde auch den Auszug ihrer erwachsenen Tochter überleben. Die Arbeit war jedoch Routine, und Ruby fühlte sich oft gelangweilt. Ihren Licht- oder besser Ohrblick bildete die Musik der Arctic Monkeys, einer Indie-Rock-Band. Der Rhythmus war ideal beim Graben. Er riss Ruby so mit, dass sie fast eine Scherbe übersehen hätte. Sie war etwa einen Zentimeter lang, mit bröckliger Unterseite und einer glasierten Ecke. Ruby wollte sie gerade auf den Stapel der ausgemusterten Dinge legen, als ihr eine feine Kritzelei auf dem rotbraunen Grund auffiel. Sie rieb einige Male leicht darüber, bevor sie mit dem Skalpell die Linie freikratzte. Was sie sah, schien vielversprechend, also schaltete sie die Arctic Monkeys aus und buddelte weiter. Da war noch eine, und noch eine, zehn, zwanzig, ein ganzes Nest, und alle mit ähnlichen Bögen und Linien! Sie erinnerten Ruby an die Illustrationen von Beatrix Potter. Die Kinderbuchautorin hatte zu ihrer Zeit, sprich dem letzten Jahrhundert, im Schatten von wesentlich weniger begabten Männern gestanden, heute galt sie als nationales Heiligtum, ihre Bücher fanden sich in jedem Kinderzimmer. Und vor allem hatte Ruby vor einigen Tagen hier unten in einer alten Mappe ein Papierdokument aus den dreißiger Jahren gefunden, in dem, nebst einigen schwer lesbaren Initialen, der Name Potter erwähnt worden war. Sie hatte nichts damit anfangen können, aber zusammen mit der Zeichnung auf den frisch gefundenen Scherben ergab es plötzlich Sinn. Damit könnte Beatrix Potter gemeint sein.