Alle sind sie wild; der Hase in den Feuchtwiesen, der Hase auf dem Kleehügel und der Hase droben in den kalten Bergen, wild wie der Ruf des Kiebitzes und der wehmütige, einsame Flug des Reihers.
Ian Niall,The Poacher’s Handbook, 1950
Im frühen Morgenlicht eilte ich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch die Treppe hinunter und stellte fest, dass sich der kleine Hase im Gras ein Nest gebaut hatte, kaum größer als er selbst. Als ich mich neben ihn setzte, reckte er seine winzigen Ohren in die Höhe, als wäre er nun bereit für die Welt.
Meine Schwester hatte mir wie versprochen schon einen Behälter Milchpulver für Kätzchen besorgt, zusammen mit einer 50-ml-Flasche, die sich laut Packungsbeschreibung für »Kätzchen, Hundewelpen, Kaninchen und Igel« eignete. Wie ich feststellen musste, stand da kein Wort von Hasen.
Ich wusch mir die Hände, sterilisierte die Flasche und bereitete alles vor, um den Hasen ein zweites Mal zu füttern. Ich hatte bereits das schwarze T-Shirt übergezogen, das ich am Tag zuvor getragen hatte, in der Hoffnung, dass es vertraut roch, und hielt den Hasen locker in dasselbe Staubtuch gewickelt. Mein Herz schlug höher, als er etwa einen Teelöffel voll Milch zu sich nahm. Entgegen meinen Erwartungen war er am Leben, und er trank seine Milch. Später saß ich still da, wie gebannt von der kleinen, warmen Kreatur auf meinem Schoß. Es war ein ruhiger, geräuschloser Morgen, und ein kleiner Hase schmiegte sich an meinen Bauch.
Mein Haus ist eine niedrige, aus Stein gemauerte Scheune, die in einer Senke zwischen drei aneinandergrenzenden Feldern steht. Das Land ringsum, das von verschiedenen Familien bewirtschaftet wird, ist dicht bestellt mit Weizen und anderem Getreide, mit Ausnahme eines Waldes unmittelbar hinter dem Haus. Von diesem Wald und einigen alleinstehenden Eichen abgesehen, die in weit entfernten Hecken stehen, gibt es hier nur wenige Bäume, unter denen man Schutz suchen könnte. Das Land ist offen, aber keineswegs flach. Es hebt und senkt sich, mit sanften Hügeln, Buckeln, steilen Böschungen, gut getarnten Gräben und sumpfigen Wiesenstücken. Der Himmel hängt tief und der Wind bläst kräftig. Überall fließt unterirdisch Wasser und tritt in prustenden, gurgelnden Bächen zutage, die sich durch ein Band aus niedrigen Holunder-, Weiden- und Birkenzweigen schlängeln, eilig im Winter und gemächlich im Sommer.
Aus der Vogelperspektive ist die alte Scheune kaum zu erkennen, wie sie dort inmitten dieser Patchworkdecke aus dunklen Wäldern, stillen Feldern und Wegen liegt, mit ihren Mauern aus grobgehauenen, grauen Steinen, die aus einem Steinbruch in der Nähe stammen oder auf den umliegenden Feldern gesammelt wurden. Auf Landkarten aus dem 18. Jahrhundert ist sie bereits verzeichnet, sie könnte aber auch noch älter sein. Nichts an ihrer Bauweise oder ihrer ursprünglichen Nutzung ist von nennenswerter Bedeutung: Sie wurde für die Separierung und Inspektion von Schafherden gebraucht, für die Lagerung des handgeschnittenen Heus für die Winterfütterung und als Unterschlupf für kranke Lämmer. Zu diesen Zwecken wurde ein dreiseitiges, niedriges Gebäude errichtet, das ungefähr die Form eines Hufeisens hatte und von einer Mauer umschlossen war, wodurch ein verschließbarer Schafpferch entstand, in den man die Tiere treiben konnte.
Als ich das heruntergekommene Haus kaufte, begriff ich es als eine Art Zukunftsprojekt, auf das ich bei Bedarf zurückgreifen konnte, denn so interessant und spannend mein Job auch war, so unbeständig und anfällig zeigte er sich im Falle von politischen Richtungswechseln. Als ich das Haus übernahm, war es eine Ruine: Es stand voller Brennnesseln, überall lagen herabgestürzte Balken und mittendurch pfiff der Wind, der ohne Unterlass durch dieses einst von einem Eiszeitgletscher ausgeschabte Tal peitscht. Um die Scheune bewohnbar zu machen, mussten die eingestürzten Wände neu aufgebaut, isoliert und verfugt werden, neue Dachbalken und Verstrebungen angebracht und das gesamte Dach neu gedeckt werden. Nach mehreren Jahren ist auf diese Weise ein einstöckiges Haus entstanden, das nur auf einer Seite – in der Mansarde unter dem Dach, wo früher das Heu aufbewahrt wurde – ein kleines Schlafzimmer beherbergt, von dem man talaufwärts dem Wind entgegenblickt. Nach Abschluss der Bauarbeiten kam ich meist nur für wenige Tage am Stück hierher, schließlich musste ich stets in der Nähe meiner Arbeit in der Stadt bleiben.
Direkt vor dem Haus, wo sich früher der Schafpferch befand, liegt ein kleiner, von der alten Steinmauer abgegrenzter, innerer Garten. Dahinter verläuft rundum ein wieder nutzbar gemachter Wiesenstreifen, der heute den Hauptgarten darstellt und von der Umgebung durch eine Mischung aus Trockenmauer, Lattenzaun und Kaninchengitter abgetrennt ist. Entlang führt eine Hecke, die als Windfang dient.
Nachdem der kleine Hase die Nacht üb