A. Der Wille zur Macht
Warum mit Rechten reden?
Stellen Sie sich vor, in Ihrem Leben gäbe es einen Menschen, an dem Sie etwas so heftig stört, dass Ihr Wohlbefinden darunter leidet. Sie gehen nicht mehr gerne zur Arbeit, seit Sie das Büro mit ihm teilen; Sie freuen sich nicht mehr auf das Familientreffen, seit er mit ihnen verschwägert ist; Sie wollen nur noch nach Hause, seit Sie erkannt haben, dass sich eine Woche auf Mallorca mit ihm ganz anders anfühlt als ein Abend in der Bar. Ihre Gedanken kreisen unentwegt um ihn, auch wenn er gerade nicht da ist oder nicht das tut, was Sie so bedrängt. Nehmen wir nun an, der Störenfried sei kein Einzelfall, sondern einer von vielen. Einer dieser extrem unangenehmen Typen, die sich seit einiger Zeit wie von Zauberhand vermehren. Überall haben sie sich breitgemacht, im persönlichen Umfeld, im Fernsehen und, was das Schlimmste ist: im Internet. Facebook ist die Hölle.
Die Welt ist irgendwie nicht mehr so schön, seit diese Leute alles in Frage stellen, was Ihnen kostbar und selbstverständlich erscheint, und dabei erschreckend stark geworden sind. Himmel, sie regieren inzwischen das mächtigste Land der Erde! Und warum ist es so weit gekommen? Weil Typen wie dieser nicht auf Menschen wie Sie hören wollten.
Sie sagten: Deine Ansichten sind falsch.
Er antwortete: Nein, deine.
Sie sagten: Geh weg.
Er ist geblieben.
Na gut, sagten Sie, dann muss ich wohl etwas deutlicher werden. Weißt du, an wen du und deinesgleichen mich erinnern? An die Nazis.
Und er? Was erdreistete er sich zu antworten? Die Nazis, sagte er, das seid ihr. Wir sind die Weiße Rose.
Wie bitte? Was? Spinnst du?
Nein, sagte er, du spinnst.
Sie. Können. Es. Nicht. Fassen. Sie sind entsetzt, verletzt, verstört, wütend, sehr, sehr wütend, so wütend, dass Sie am liebsten schreien und diesem Individuum handgreiflich klarmachen würden, dass es so nicht geht. Aber das finden Sie auch wieder schlimm, denn so wollen Sie ja eigentlich nicht sein, so jemand sind Sie doch gar nicht. Allmählich verwandelt sich Ihre Wut in Ratlosigkeit. Sie machen einen Spaziergang und kommen zu der Einsicht, dass kein Weg mehr an einem klärenden Gespräch vorbeiführt. Sie werden dem anderen sagen: Ich habe ein Problem mit dir. Mit dir und deinen Freunden. Damit, dass ihr Rechte seid.
In einer ähnlichen Gefühlslage müssen sich die Veranstalter des evangelischen Kirchentags 2017 befunden haben, als sie sich dazu durchrangen, das Gespräch mit dem Rechtspopulismus zu wagen. Aber wen einladen? Die meisten Menschen mit falschen Gedanken, insbesondere Männer, werden ja immer gleich so aggressiv. Lieber fragen wir eine Frau. Vielleicht eine Christin, bei der sich das schiefe Weltbild mit Zurückhaltung und Einfalt paart? Gute Idee. Die Frau, eine unscheinbare Evangelikale, ist schnell gefunden. Aber den Veranstaltern wird plötzlich klar, was für eine Herkulesaufgabe sie sich da aufgehalst haben.
Wäre der Papst höchstpersönlich zu Besuch gekommen, ihm hätte im Vorfeld des Kirchentages nicht mehr Aufmerksamkeit zuteil werden können als Anette Schultner von derAfD, einer schlichten Dame, von der kaum jemand Notiz genommen hätte, wäre sie nicht erwartet worden wie das geheime Kind von Adolf Hitler und einer unbekannten Schönheit vom Mars. Wochenlang tagen die Planungsstäbe, als gälte es, einen jahrhundertealten Dogmenstreit mit Rom beizulegen; es toben die Wogen des Eifers, als hätte jemand gewagt, Luther im Lutherjahr einen Antisemiten zu nennen. Mahnende Hirtenbriefe werden verfasst, Unbedenklichkeitsgutachten eingeholt, m