: Jonathan Lethem
: Der Fall Brooklyn Roman
: Tropen
: 9783608123883
: 1
: CHF 19.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 448
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Jede Stadt verdient ein solches Buch.« Colum McCann  SWR Bestenliste Mai 2025 Die Dean Street in Brooklyn ist mehr als eine Straße. Hier werden Träume wie harte Währung gehandelt, treffen reiche Kids auf Jungs aus der Hood und große Verbrechen auf kleine Gaunereien. Mit meisterhafter literarischer Finesse erzählt Jonathan Lethem die wechselvolle Geschichte von einer der hippsten Straßen New Yorks. Ein Blick hinter die Kulissen einer Stadt und einer Zeit, in der vieles immer stärker zur bloßen Fassade gerät. Die Dean Street gleicht einer Bühne. Täglich wird hier ein Tanz aus Macht, Geld und Gewalt aufgeführt. Wem gehört das Pflaster? Wer zahlt den Preis fürs Überleben? Einmal wird ein Kind am Eisstand Zeuge einer Schießerei, ein anderes Mal wird ein paar Blocks weiter ein anderes Kind dabei erwischt, wie es im Kiosk ein Erwachsenenmagazin mitgehen lässt. Rivalisierende Gangs streiten sich über das Recht, wer in der Straße Hockey spielen darf, um die Ecke wirft jemand versehentlich einen Baseball in die Windschutzscheibe eines Autos. Doch hinter all diesen Ereignissen lauern immer andere Strippenzieher: Eltern, Polizisten, Vermieter und diejenigen, die in der Stadt die Schlagzeilen und Gesetze schreiben. Sie alle prägen dieses Viertel, seine Geschichte und seine Gegenwart. Jonathan Lethem, einer der großen Erzähler Amerikas und selbst ein Kind Brooklyns, hat diesem Viertel eine grenzenlose Liebeserklärung geschrieben: witzig, vielschichtig und unfassbar berührend. »Ein großer Lesegenuss. Ein brillantes Buch, das alle Genregrenzen sprengt.« Percival Everett

Jonathan Lethem, geboren 1964 in New York, ist Autor zahlreicher Romane, darunter die Brooklyn-Romane »Motherless Brooklyn« und »Die Festung der Einsamkeit«. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u.a. den »National Book Critics Award«, den »Gold Dagger« und das »MacArthur Fellowship«. Lethem hat am Pomona College in Südkalifornien die Professur für Creative Writing inne. Zurzeit lebt er mit seiner Familie in Kalifornien. Weitere Informationen zu Jonathan Lethem finden Sie auf seiner Website www.jonathanlethem.com

4. Hockeykrieger
(1976)


Ein Schwarzer und drei weiße Jungs gehen mit Hockeyschlägern westwärts die Dean Street entlang und überqueren die Smith Street. Dann, an der Court Street, wo die Dean ausläuft und ihren Namen in Amity ändert, betreten sie Cobble Hill. Von dort wenden sie sich nach Süden, die Clinton Street entlang, Richtung Carroll Gardens, dem italienischen Viertel.

Zwei der drei weißen Jungs sind dreizehn. Der dritte, ein Elfjähriger, ist ein jüngerer Bruder.

Der jüngere Bruder ist, offen gesagt, ein Kompromisskandidat. Sie brauchen ihn für ein Viererteam. Sie sind mit einer eingespielten rein italienischen Truppe, die sie in der Henry Street erwartet, zum Streethockey verabredet.

Der jüngere Bruder musste erst überredet werden, weil – Hockey?Streethockey? Doch sein älterer Bruder nimmt ihn nur noch selten mit, und ihm gefällt, dass es noch immer passieren kann. Sein älterer Bruder und seine Freunde haben gesagt, sie bräuchten ihn.

Dann also Streethockey. Warum nicht.

Keiner der drei weißen Jungs ist Italiener. Sie wohnen, wie der Schwarze, alle in der Dean Street.

Wenn sie schon keine Italiener sind, sind sie dann was anderes? Klar, ein Mischmasch. Ein undefinierbarer HaufenWASPs, Halbjuden, Hippies, was auch immer. Keiner mit einer Identität, die es mit der der Italiener aufnehmen könnte.

Sie sind Brownstoners.

Der Schwarze Junge ist zehn Monate älter, ein Schuljahr höher an der staatlichen Schule und vom Stellenwert selbst dem ältesten der drei weißen Jungs weit voraus, die er gerade für eine erwartbare Niederlage in das fremde Revier von Carroll Gardens führt.

Weiß einer dieser vier Jungs, wie man in Turnschuhen Hockey spielt – und sei es auch nur Streethockey? Nicht wirklich.

Der Schwarze Junge ist ihre größte Hoffnung, wegen seines Selbstvertrauens, seiner Energie und seines Könnens bei Straßenspielen im Allgemeinen.

Der jüngere Bruder hingegen dürfte so gut wie nutzlos sein. Man muss ihn bestimmt immer wieder aufmuntern, damit er weiterspielt, so, wie man ihn auf dem Weg in das unbekannte Viertel ständig aufmuntern muss. Der jüngere Bruder könnte ein Totalausfall sein. Aber wenn sie mit weniger als vier Spielern aufkreuzen würden, bräuchten sie gar nicht erst anzutreten.

Sie sind jedenfalls eine seltsame Truppe. Die italienischen Jungs werden sie plattmachen. Es hat etwas Ruhmvolles, zu wissen und doch nicht zu wissen, wo sie da reingeschlittert sind. Es ist allein schon unglaublich, dass sie es geschafft haben, vier Hockeyschläger aufzutreiben – die Kelle gesplittert und komplett mit Isolierband umwickelt, auch wenn sich darin die Aussichtslosigkeit ihrer Aufgabe zeigt.

An der Ecke Kane Street begeben sie sich eine Straße weiter westwärts und gehen am stillen Schulhof der P. S. 29 vorbei, um zur Henry Street zu gelangen. Es ist ein Samstagnachmittag Anfang Mai. Hier bleiben wir zurück und lassen die Jungs in das honigfarbene Licht einbiegen, das sich über die Dächer wölbt, durch das Laubdach sickert und sich auf die kunstvollen Simse der Brownstones legt. Wir lassen sie einen Moment aus den Augen, lassen sie unbegleitet ihrem Schicksal entgegengehen. Das liegt näher an der Wahrheit. Niemand sieht sie, nicht in diesem Moment.

Ein Mittel gegen Lyrismen. Halten wir das Licht, besonders das honigfarbene Licht, von unseren Augen fern. Nur die Fakten, Mann – keine malerischen Effekte. Wir sind hier, um Verbrechen aufzulisten. Oder vielleicht, um Vorfälle, die keine Verbrechen und eher die Ausnahme sind, von einem allgemeinen kriminellen Hintergrund zu unterscheiden. Uns geht es nicht darum, Licht auf Gesichtern zu schildern oder Licht, das durchs Laub auf Simse fällt. Die Stadt ist ein Netz von schematischen Darstellungen. Versuchen wir, ein paar Nadeln in die Karte zu stecken. Unnötig, Schmetterlinge aufzuspießen. Keine Schmetterlinge, kein schmeichelndes Licht.

Wir folgen dem Beispiel der Jungs: Hüte deine Geheimnisse, verberge deine geheimen Exzesse. Sollte es zwischen zwei dieser vier Dean-Street-Jungs eine spezielle Anziehungskraft oder Romanze geben, so wird sie jetzt strikt hinter der kriegerischen Fassade dieses Nachmittags bewahrt. Vier Körper marschieren, die Schläger geschultert. Ein Anblick, den wir noch nie gesehen haben.

An der Ecke Henry und President Street treffen die vier auf vier andere. Ein Tag der Vierergruppen. Das sind nicht ihre vorgesehenen Gegner, die warten vermutlich