: Lena Cassel
: Aufstiegskampf Vom Seitenrand in die Primetime
: Tropen
: 9783608123838
: 1
: CHF 12.60
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Sind wir nicht schon weiter? Offensichtlich nicht. Deshalb ist Lena Cassels Buch so wichtig.« Anne Will Arbeiterkind mit Bodenhaftung, queer, meinungsstark und humorvoll - Lena Cassel steht für eine neue Generation Sportjournalistinnen. Die Geschichte ihres Aufstiegs in der Männerwelt des Fußballs erzählt auch von der Wandlung eines Landes und seines liebsten Sports. Ohne den Fußball wäre Lena Cassel nicht die, die sie heute ist. Aber ohne Frauen wie sie wäre auch der Fußball nicht der, der er heute ist - ein Sport für alle. Lena Cassel kommt aus einfachen Verhältnissen. Früh entdeckt sie ihre Leidenschaft für den Fußball. Als Mädchen unter Jungs und als Frau unter Männern setzt sie sich durch. Als sie zur Sportschau wechselt, sitzt sie lange auf der Reservebank, auch genannt: Archiv-Redaktion. Angeblich »zu laut und zu bunt« für Vor-der-Kamera. Heute ist genau das ihr Markenzeichen. Lena Cassel blickt aber auch neben den Platz: Auf die Abende allein mit ihrer Schwester, weil die alleinerziehende Mutter nachts als Krankenschwester arbeitet. Auf die erste Liebe - eine Torhüterin, die nachts heimlich zu ihr durchs Fenster hereinklettert. Auf den frühen Verlust ihres Vaters, dem sie nicht mehr Auf Wiedersehen sagen konnte. Dies ist die Geschichte vom Erwachsenwerden einer Frau und eines Sports. Inspirierend, emotional und humorvoll. Von einer der gefragtesten Sportjournalistinnen und Podcasterinnen unserer Zeit. »Zwischen toxischer Männerdomäne und Milliardengeschäft zeigt Lena Cassel mit ihrer Geschichte, dass der Fußball mehr ist als das. Er ist der Kitt unsere Gesellschaft, der Heimat, Identifikation und Gemeinschaft bieten kann.« Markus Feldenkirchen »Der Fußball braucht dringend neue Perspektiven - und Lena Cassel ist die Verkörperung davon.« Laura Freigang, Nationalspielerin

Lena Cassel, geboren 1994 in Köln, war Stürmerin für den SV Allner-Bödingen, den SC Fortuna Köln und Türkiyemspor Berlin. Sie arbeitete bei der Sportschau und als Reporterin, u.a für stern TV. Sie moderierte HerthaTV, war Teil des ZDF  »Fußball-Talk « im Mainzer Keller. Seit 2022/23 präsentiert Cassel für Prime Video die Highlightshow der UEFA Champions League. Derzeit moderiert sie außerdem die Bundesliga-Übertragungen bei DAZN und ist zusammen mit Maik Nöcker seit 2022 Moderatorin des Podcasts Fussball MML Daily und des Podcats Playing Dirty - Sport und Verbrechen. Cassel lebt in Berlin. 

Paulchen Panther in der Champions League


Da stand ich also: in einem rosafarbenen Anzug, in einem extra für die Champions League mit Sternen dekorierten Fernsehstudio. Aber nicht nur mein Outfit erinnerte an den rosaroten Panther. Paulchen Panther reißt Wände ein, setzt Häuser unter Wasser oder zwingt Muskelpakete in die Knie – Hauptsache Chaos und Hauptsache außergewöhnlich: Das ist sein Markenzeichen.

Die Situation, in der ich mich befand, war mindestens ebenso außergewöhnlich und ebenso chaotisch. Fünf Kameras, sieben Monitore, grelles Licht und ein Knopf im Ohr.

Ich fühlte mich wie eineNASA-Pilotin auf ihrem ersten Flug ins Weltall. Nur dass mein Anzug nicht weiß, sondern eben rosa war. Und ich nicht auf einer Rakete am Cape Canaveral an den Start ging, sondern aus einem viel zu groß wirkenden quadratischen Raum in Köln-Hürth abheben sollte.

»Noch zehn«, zählte die Männerstimme in meinem Ohr. Mein Herz pochte so schnell, dass ich es deutlich an meiner Halsschlagader spürte. »Noch fünf!« Plötzlich wurde mein Atem flacher. Bekam ich gerade einen Herzinfarkt? »Noch drei«. Ich spürte, wie sich rote Flecken an meinem Hals ausbreiteten. Stressausschlag. Zum Glück hatte ich mich Stunden zuvor nicht für den V-Ausschnitt, sondern für die hochgeschlossene Rundhals-Variante entschieden. Zumindest die roten Flecken waren also kaschiert. »Zwei, eins«. Ich war mir sicher, gleich ohnmächtig zu werden. »Und sprechen.« Ich hob ab. Ein Kamerakran fuhr auf mich zu, und meine allererste Live-Moderation im Fernsehen begann. Es wurden die nervösesten vierzig Sekunden meines bisherigen Lebens.

Auf einmal war ich die neue Moderatorin der Champions League Highlights-Show auf Amazon Prime Video. Die folgende Stunde verbrachte ich damit, roten Kameralichtern zu folgen, die durch meinen Ohrknopf durchgegebene Schrittkombination zu beachten, möglichst lässig auf den ungewohnt hohen Schuhen zu stehen und ganz wichtig (!) rechtzeitig in die Werbung abzugeben. Zeit ist Geld – eine billige Phrase, die nirgendwo so wahr ist wie im Fernsehen. Es war ein Multitasking-Marathon, der mit maximaler Geschwindigkeit an mir vorbeizog oder um es mit Paulchen Panther zu sagen: »Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon so spät? Schade, dass es sein muss. Ist für heute wirklich Schluss? Heute ist nicht alle Tage, ich komm wieder, keine Frage.«

Dann erlosch das rote Licht über der Kamera. Vorbei. Sechzig Minuten, die sich anfühlten wie sechzig Sekunden. Die gesamte erste Sendung verlief zwar ohne einen einzigen Versprecher, glich aber dem Versuch einer Dreijährigen, die zum ersten Mal ohne Stützräder Fahrrad fuhr: unsicher, angespannt und wahnsinnig hektisch. Das einzig Positive war, dass ich doch keinen Herzinfarkt bekommen hatte. Der Aufregung folgte die Erleichterung. Als hätte jemand die schwere Bleidecke, die seit Tagen drückend über meinem Körper lag, weggezogen. Diesen Moment konnte mir niemand mehr nehmen. Ein rosaroter Panther in der Primetime. Und dieser Panther war ich.

Ich ließ mich in den Stuhl meiner Umkleide fallen, streifte erst mit dem linken Fuß den rechten Schuh und dann mit dem rechten Fuß den linken Schuh ab. Vielleicht weinte ich dann ein bisschen. Ich hing meinen rosafarbenen Blazer über die Lehne und blickte erschöpft auf das Bild an der Wand. Zu sehen war eine Straße in London in Schwarz-Weiß auf der ein roter Doppeldeckerbus fuhr, dessen Farbe aus der schwarz-weißen Umgebung natürlich bewusst herausstechen sollte. Ein Bild wie ein peinliches Wandtattoo, das exakt so in acht von zehnTV-Umkleiden zwischen Köln-Hürth und Berlin-Adlershof hängt. Ein deutliches Kontrastprogramm zu dem, was gerade in meinem Innern vorging: Ausnahmezustand. In meinen Anfängen bei der Sportschau attestierte mir der damalige Sportchef, nachdem ich ihm eins meiner ersten Tapes vor der Kamera gezeigt hatte, ich sei »zu laut und zu bunt« für die Arbeit vor der Kamera. In einemTV-Studio mit einem Experten könne das niemals funktionieren, weil ja der Gast strahlen müsse und nicht die Moderatorin.

Ich bin mir sicher, dass er das so niemals zu einem männlichen Kollegen gesagt hätte. Selbstbewusstsein und Schlagfertigkeit gelten da als unabdingbare Eigenschaften für den Erfolg. Tja, was bei Männern genau richtig ist, ist bei Frauen meistens zu viel. Damals war mein 21-jähriges Ich leicht bedröppelt und verwirrt aus dem Büro gestolpert.

Bin ich zu viel? Zu laut? Und zu bunt? Nach diesem Gespräch setzte mich der Sportchef exakt einmal vor der Kamera ein. Als Field Reporterin bei einem Drittligaspiel. VfL Osnabrück gegen Preußen Münster an der Bremer Brücke. Als hätte ich beim Dosenwerfen auf dem Rummel den Trostpreis erhalten, und zwar nur, damit ich nicht anfangen würde, wie ein trotziges Kleinkind herumzuquengeln.

Zu laut un